Die Behörden wollen, dass Senioren Tabletten und Tropfen mit Vitamin D schlucken. Das soll sie vor brüchigen Knochen und Stürzen schützen. Fachleute sagen, das bringe nichts.
Glaubt man dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit, dann herrscht Vitaminnotstand in der Schweiz: «Im Winter reicht die körpereigene Bildung von Vitamin D nicht aus.» Sechs von zehn Personen hätten zu wenig davon. Das Bundesamt rät, Tropfen zu schlucken. Leute über 60 sollen gar das ganze Jahr über zusätzliches Vitamin D einnehmen.
Auch Pharmafirmen und Apotheken schüren die Angst. Auf der Website der Topwell-Apotheken heisst es: «Insbesondere für Knochen und Muskeln ist Vitamin D entscheidend, aber sie bekommen meist zu wenig.» Deshalb sei die Einnahme von Präparaten «ab der Lebensmitte sinnvoll». Hersteller Wild behauptet in einer Patientenbroschüre, Vitamin-D-Tropfen würden im Alter Stürze und Knochenbrüche verhindern.
Kein Einfluss auf Knochendichte
Die Werbung hat offenbar Erfolg: Laut dem Branchenverband Interpharma verkauften die Hersteller im letzten Jahr drei Millionen Packungen Vitamin D – fast doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren.
Doch jetzt verdichten sich die Hinweise, dass die Präparate Gesunden gar nichts nützen. Eine neue Übersichtsstudie zeigt: Die Einnahme von Vitamin D verhindert weder Brüche noch Stürze. Sie hat auch keinen wesentlichen Einfluss auf die Knochendichte, unabhängig von der Dosis. Forscher aus Neuseeland und Schottland analysierten 81 Studien mit 53 000 Teilnehmern. Sie schreiben: «Es gibt kaum Gründe, Vitamin-D-Präparate zu verwenden, um die Gesundheit des Bewegungsapparates zu erhalten oder zu verbessern.»
Das bestätigt Thomas Rosemann, Professor für Hausarztmedizin an der Universität Zürich: «Die Datenlage zeigt keinerlei Nutzen bei Gesunden, egal welchen Alters.» Mehr noch: Eine Studie der australischen Universität Melbourne von 2010 sowie eine Untersuchung der Universität Zürich von 2016 weisen darauf hin, dass grosse Mengen an Vitamin D sogar schaden. Das heisst: Senioren stürzen häufiger, wenn sie 1200 oder mehr Einheiten Vitamin D pro Tag schlucken. Das entspricht 30 Mikrogramm. Die Fachleute der deutschen Zeitschrift «Gute Pillen, schlechte Pillen» raten, dass Ärzte Vitamin D «nicht unnötig oder in zu hohen Dosen verschreiben» sollten.
Der Vitamin-D-Spiegel sinkt bis zum Frühjahr – das ist normal
Etzel Gysling, Arzt und Herausgeber des Fachblatts «Pharma-Kritik», empfiehlt die Präparate bei Erwachsenen nur, wenn sie das ganze Jahr kaum aus dem Haus kommen, zum Beispiel Menschen in Pflegeheimen. Denn die Sonne – vor allem im Sommer, wenn sie hoch steht – ist die wichtigste Quelle für Vitamin D. Der Körper speichert es für die Wintermonate im Fettgewebe. Laut Thomas Rosemann sinkt zwar der Vitamin-D-Spiegel bei vielen Menschen bis zum Frühjahr auf tiefe Werte. Dies habe aber kaum Folgen für die Gesundheit: «Unsere Vorfahren hätten sich sonst ständig die Knochen brechen müssen.»
Die Topwell-Apotheken verweisen auf die Empfehlungen der Behörden. Hersteller Wild beruft sich auf die Zürcher Studie von 2016. Sie habe auch nachgewiesen, dass bei 800 Einheiten weniger Stürze und Brüche auftreten. Er kritisiert die neue Studie als «wissenschaftlich nicht nachvollziehbar».
So bleiben Knochen gesund
Gehen Sie auch im Winter jeden Tag an die frische Luft, möglichst mittags. Die Sonne kann auch dann geringe Mengen an Vitamin D in der Haut bilden.
Ihre volle Kraft hat die Sonne im Winter zum Beispiel in Südspanien, Sizilien, Kreta und südlich davon.
Essen Sie ausgewogen, das heisst: viel Gemüse, Früchte, Getreide, Milchprodukte, Fisch und Eier.
Machen Sie Sport, um Knochen und Muskeln zu stärken. Besonders gut sind Joggen, Aerobic und Minitrampolin.
Trainieren Sie das Gleichgewicht, um sich vor Stürzen zu schützen. Tipps finden Sie im Merkblatt «Gleichgewicht und Kraft», zum Herunterladen auf Gesundheitstipp.ch.