Die Vorfreude der Baslerin Annemarie Bless (Name geändert) auf die Kubareise war gross. Doch rund vier Wochen vor der Abreise erkrankte ihr Schwiegersohn schwer. Er hatte sich nach einer Operation mit Bakterien infiziert und musste ins Spital. Bless sagte die Reise ab, kümmerte sich um den sechsjährigen Enkel und besuchte den kranken Schwiegersohn während fünf Wochen im Spital.
«Eine bizarre Klausel»
Bless hatte die Reise mit ihrer Viseca-Kreditkarte bezahlt. Damit waren die Kosten für eine Reiseabsage automatisch versichert. Gemäss der Werbung von Viseca gilt die Versicherung bei schwerer Krankheit, Unfall oder Tod – «auch von nahestehenden Personen».
Bless verlangte deshalb eine Rückerstattung der Annullierungskosten von rund 1700 Franken. Doch die Reiseversicherung der Viseca – die Europ Assistance – zahlte nichts. Begründung: Laut den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) gelten nur «Ehepartner, Lebenspartner, Kind, Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Schwiegereltern, Grosseltern und Enkelkinder» als nahestehende Person. Der Schwiegersohn aber nicht.
Für den Berner Privatrechtsprofessor Thomas Koller ist diese Klausel «bizarr». Weshalb Schwiegereltern als nahestehend gelten, Schwiegerkinder hingegen nicht, sei nicht verständlich. «Im Extremfall würde das bedeuten, dass man die Annullierungskosten auch dann zu tragen hat, wenn der Schwiegersohn oder die Schwiegertochter stirbt», so Koller. Die Definition der nahestehenden Person sei ungewöhnlich und gelte deshalb nicht. Schwiegerkinder seien nach allgemeiner Auffassung nahestehende Personen, deshalb müsste die Versicherung die Annullierungskosten von Annemarie Bless übernehmen.
Viseca-Sprecherin Karin Broger sagt, die Definition entspreche «der gängigen Usanz in der Versicherungsbranche». Deshalb halte die Reiseversicherung Europ Assistance daran fest, die Kosten nicht zu übernehmen.
Ein Blick von saldo in die AVB anderer Reiseversicherungen ergibt ein anderes Bild:
- Axa, der TCS im ETI-Schutzbrief und die Nationale Suisse (VCS-Schutzbrief, Europäische Reiseversicherung und Smile direct) haben den Kreis der nahestehenden Personen in den AVB gar nicht definiert. Gemäss Auskunft würde der Schwiegersohn als nahestehend gelten.
- Die AVB von ACS-Schutzbrief, Mobiliar, Zürich Connect und Zürich erwähnen «Familienangehörige», die Basler spricht von «verwandten und verschwägerten Personen» und Generali von Personen, zu denen der Versicherte «enge familiäre oder freundschaftliche Bande unterhält». Sie bejahen auf Anfrage eine Deckung für eine schwere Erkrankung des Schwiegersohns. Kurios: Bei Generali wird die Versicherungsleistung – wie bei der Viseca-Kreditkarte – von der Europ Assistance erbracht.
- Bei der CSS sind nicht mitreisende «verwandte Personen» wie Kinder, Ehegatte, eingetragene Partner, Geschwister, Eltern, Schwiegereltern und Enkel sowie Verlobte oder Lebenspartner erfasst. Laut Sprecherin Carole Sunier würde die CSS im erwähnten Fall die Leistung aus Kulanz erbringen.
- Bei Helvetia lautet die Definition: «Ehe- oder Konkubinatspartner sowie deren Eltern und Kinder, Verwandte in auf- und absteigender Linie, Geschwister, Cousins ersten Grades, Tanten und Onkel ersten Grades.» Laut Sprecher Hansjörg Ryser wäre der Fall nicht versichert.
- Ähnliche AVB wie die Viseca-Versicherung hat Allianz Global Assistance/Elvia. Sie erbringt auch die Versicherungsleistung der Annullierungskostenversicherung der UBS-Kreditkarte. Auch hier sind Schwiegereltern als nahestehende Personen aufgeführt, Schwiegerkinder hingegen nicht. Sprecherin Seline Sauser räumt ein, dass eine unterschiedliche Behandlung von Schwiegereltern und -kindern nicht gerechtfertigt erscheint. Deshalb hätte man im geschilderten Fall die Kosten übernommen. Eine Anpassung der AVB ziehe man in Betracht. Laut UBS-Sprecher Yves Böni sollen die AVB der Reiseversicherung angepasst werden.
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