Die Patienten sollen einen schnelleren Zugang zu angeblich «innovativen» Medikamenten haben. Das fordert die Pharmabranche vom Bund mit Nachdruck. Seit 2019 bietet das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic daher Expresszulassungen für neue Medikamente an, die angeblich einen «hohen therapeutischen Nutzen» haben.
Swissmedic vergibt zum Beispiel eine auf zwei Jahre «befristete» Zulassung für neue Produkte, bevor die klinischen Studien abgeschlossen sind. Oder die Behörde prüft in «vereinfachten» Zulassungsverfahren ausländische Entscheide. Und bei «beschleunigten» Verfahren verkürzt sie die Bearbeitungszeit von 400 auf 250 Tage.
Die Zahl der Schnellzulassungen nimmt zu: Im vergangenen Jahr führte Swissmedic 25 solcher Verfahren durch. Nur 20 Medikamente durchliefen das Standardverfahren. 2019 gab es erst 9 Schnellverfahren und 20 nach dem herkömmlichen Modus.
Doch sind rascher zugelassene Medikamente tatsächlich besser als ältere, schon erhältliche Produkte? Um das herauszufinden, durchforstete saldo die Datenbank des deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Das Kölner Institut überprüfte den Patientennutzen von 31 Medikamenten, die Swissmedic seit 2019 befristet, beschleunigt oder vereinfacht zugelassen hat. Die wichtigsten Ergebnisse:
Nur vier neue Medikamente bringen Patienten einen «beträchtlichen» oder «erheblichen» Zusatznutzen. Dazu zählt Zolgensma, das Muskelschwund bei Kindern bremsen soll, die an spinaler Muskelatrophie leiden. Eine Dosis des Novartis-Präparats kostet in den USA und Deutschland rund zwei Millionen Franken, in der Schweiz ist der Preis geheim. Bei drei weiteren Medikamenten lässt sich der Zusatznutzen nicht quantifizieren oder ist nur gering.
Zehn Medikamente gelten als nützlich, weil sie gegen seltene Krankheiten helfen sollen, für die es bisher keine Therapie gab.
Für 14 von 31 Medikamenten ist ein Zusatznutzen gegenüber älteren Therapien nicht belegt oder es fehlen Vergleichsstudien. Es handelt sich meist um Krebsmittel: So kostet eine Therapie mit Tepmetko gegen Lungenkrebs pro Jahr rund 80'000 Franken, obwohl es nicht besser wirkt als vorhandene Therapien, für die maximal 20'000 Franken veranschlagt sind. Retsevmo, ein Mittel gegen fortgeschrittenen Schilddrüsenkrebs, kostet rund 160'000 Franken pro Jahr. Reines Lindern der Symptome hilft laut dem deutschen Institut genauso gut, ist aber meist günstiger.
Nur knapp ein Drittel der Mittel hat «hohen Nutzen»
Dass beschleunigte oder vereinfachte Medikamentenzulassungen primär der Pharmaindustrie und weniger den Patienten nützen, belegt eine neue Studie. Kerstin Noëlle Vokinger, Professorin für Recht und Medizin an der Universität Zürich, untersuchte mit US-Forschern den Patientennutzen von 146 Medikamenten, die US-Behörden von 2009 bis 2021 beschleunigt oder befristet zugelassen haben. 58 dieser Medikamente sind auch in der EU und 13 in der Schweiz zugelassen.
Die Forscher werteten die Einstufung des Nutzens durch kanadische, französische und deutsche Behörden aus. Resultat: Nur 56 der 146 in den USA und der EU zugelassenen Medikamente wiesen einen «hohen therapeutischen» Nutzen im Vergleich mit vorhandenen Therapien auf. In der Schweiz übertraf nur ein einziges Medikament den Nutzen vorhandener Therapien. Die Studie erschien im August im Fachblatt «JAMA Health Forum».
Fazit: Unterm Strich profitieren von der raschen Zulassung vor allem die Hersteller. Sie können neue Produkte zügiger auf den Markt bringen und mit ihnen Geld verdienen. Und sie können beim Bundesamt für Gesundheit teils exorbitante Preise durchsetzen, indem sie auf einen angeblich hohen Nutzen ihrer Produkte hinweisen.
Andreas Schiesser vom Krankenversichererverband Curafutura fordert daher: «Die Behörden müssen auch nach dem Markteintritt dieser Medikamente systematisch alle Studienergebnisse prüfen. Fehlen weiterhin Belege für den Zusatznutzen, müssen die Preise fallen.»
Swissmedic erwidert, dass bei einer befristeten Zulassung der rechtzeitige Zugang der Patienten zu innovativen Arzneimitteln höher gewichtet werde als das Risiko, dass der erwartete Nutzen nicht eintrifft. Das Fehlen von Vergleichsstudien bedeute zudem nicht automatisch, dass kein hoher therapeutischer Nutzen vorliege.