Schön farbig, gleichförmig und gross: Die Äpfel im Laden sind makellos. Sie haben keine Druckstellen und keine Flecken. Das zeigt ein Rundgang durch die Läden der Grossverteiler in der vergangenen Woche. Dieses Aussehen ist nur möglich durch den Einsatz von Pestiziden. Bauern und Handel verkündeten bis anhin immer wieder, es brauche diese Mittel, um die Früchte vor Krankheiten und Schädlingen zu schützen.
Doch jetzt bringt eine Studie der ETH Zürich ans Licht: Bei Tafeläpfeln verspritzen Bauern auch Pestizide, die hauptsächlich die Grösse und Farbe der Früchte beeinflussen.
Jeder vierte Bauer verschönert Äpfel mit Pestiziden
In einer Umfrage unter 200 Bauern gaben 24 Prozent an, «kosmetische Pestizide» einzusetzen. Für ein schöneres Aussehen der Äpfel verspritzen sie unter anderem Fungizide. 59 Prozent der befragten Bauern geben an, «zum Beispiel Pflanzenwachstumshormone anzuwenden, um die Grösse und Farbe der Früchte zu verbessern». Pflanzenwachstumshormone wirken aber auch auf das Hormonsystem von Menschen und Tieren. Sie können die Funktion der Fortpflanzungsorgane beeinträchtigen und die Entwicklung der Nachkommen schädigen.
Diesem Risiko ausgesetzt sind insbesondere Landwirte, welche die Gifte verspritzen. Gemäss den Sortiervorschriften, die der Handel mit den Obstbauern erarbeitete, muss ein konventionell produzierter Tafelapfel der Klasse 1 mindestens einen Durchmesser von 60 Millimetern haben und 90 Gramm schwer sein sowie eine sortentypische Färbung aufweisen. Zudem muss die Schale makellos sein. Der Apfel darf also kein Fleckchen Schorf haben. Erfüllt er auch nur eine der Vorschriften nicht, wird er abqualifiziert oder als Industrieprodukt verarbeitet.
Strenge Vorschriften der Händler zwingen Bauern zum Spritzen
In feuchten Jahren sind solche strengen Vorschriften äusserst schwierig einzuhalten. Das bestätigen mehrere Apfelbauern gegenüber saldo. Allein die Nulltoleranz bei Schorf habe zur Folge, dass Bauern mindestens vier bis fünf Spritzungen zusätzlich machen müssten, um die Vorgaben einzuhalten. Äpfel mit leichtem Schorfbefall wären aber problemlos konsumierbar.
Coop und Lidl bestätigen, dass das Aussehen der Früchte beim Verkauf eine wichtige Rolle spiele. Denner und Volg schreiben, weniger schöne Äpfel würden länger im Regal bleiben oder gar nicht verkauft.
Gala, Golden Delicious, Braeburn oder Pink brauchen viele Pestizide
Es ginge auch mit weniger Chemie: Bauern, die robustere Apfelsorten anbauen, kommen mit weniger Pestizidbehandlungen aus als Landwirte, welche die gängigen Sorten produzieren. Doch im Handel dominieren Sorten wie Gala, Braeburn, Golden Delicious, Pink Lady, Jazz oder Diwa/Milwa, die alle viel Pestizideinsatz benötigen. Eine Ausnahme bildet die Sorte Topaz, die robust ist und dem gängigen Schönheitsbild eines roten und mittelgrossen Apfels entspricht.
Gertrud Burger von der Stiftung Pro Specie Rara bedauert, dass das Aussehen heute so wichtig ist. Unter den traditionellen und geschmacklich vielfältigen Apfelsorten gäbe es auch robuste und lagerfähige Äpfel, etwa die Oberrieder Glanzreinette oder den Marmorapfel.
Ein Bio-Apfel mit zu viel Schorf verliert 75 Prozent seines Werts
Auch Bio-Betriebe stehen unter Druck, möglichst schöne Äpfel zu produzieren. Das bestätigen mehrere Produzenten gegenüber saldo. Bei Bio-Äpfeln toleriert der Handel zwar kleine Makel. Aber die Fläche der Schorfflecken darf auf einem Tafelapfel insgesamt nicht mehr als einen Quadratzentimeter betragen. Sonst wird auch der Bio-Apfel als Industrieprodukt abqualifiziert und zu Apfelmus verarbeitet. Für die Bauern ist dies ein Verlustgeschäft, denn für Industrieäpfel erhalten sie nur 60 Rappen pro Kilo – einen Viertel des Preises eines Tafelapfels.
Bio-Bauern dürfen keine Pflanzenwachstumshormone einsetzen. Aber auch sie achten auf «Kosmetik» und behandeln die Bäume mit Backpulver oder dünnen mit mechanischen Mitteln die Blüten aus, damit die Bäume weniger, aber grössere Früchte tragen.
Die ETH-Studie widerlegt die Behauptung der Detailhändler, dass Kunden ausschliesslich schöne und perfekte Äpfel kaufen würden. Die Forscher zeigten nämlich auf: Betriebe, die ihre Äpfel vorwiegend direkt an Kunden verkaufen, verspritzen viel seltener kosmetische Pestizide.
Tipp: Wer Äpfel von robusten Sorten kaufen will, findet diese am ehesten auf Wochenmärkten, in Bio-Läden oder direkt bei den Produzenten: Eine Liste der Betriebe finden Sie unter Prospecierara.ch > Erleben > Prospecierara-Produkte: «Obst» wählen.