Das war knapp. Nur 26 Zentimeter Platz liess ein Autofahrer der Velofahrerin beim Überholen. Die 56-jährige Test-Velofahrerin war an der Muttenzerstrasse in Pratteln BL unterwegs und holte sich einen gehörigen Schrecken.
Geringe Sicherheitsabstände sind keine Seltenheit, im Gegenteil. Das zeigt eine saldo-Stichprobe (siehe Kasten). Die wichtigsten Resultate: Jeder dritte Autofahrer in Zürich und Basel kam den Test-Velofahrern beim Überholen mit einem Abstand von weniger als 1 Meter gefährlich nahe. Jedes fünfzigste Auto überholt Velofahrer sogar nur mit einem Abstand von weniger als 50 Zentimetern (siehe Tabelle im PDF). Solche Messungen gab es in der Schweiz noch nie.
Insgesamt unterschreiten vier von fünf Automo-bilisten den Sicherheitsabstand von 150 Zentimetern. Das ist für den Verkehrs-Club der Schweiz und den Verband Pro Velo die Richtgrösse, die Autos, Lastwagen und Busse nicht unterschreiten sollten.
Schlechtere Ergebnisse als in Deutschland
Besonders dicht fahren Autofahrer in Zürich auf: In der Stichprobe unterschritten 36 Prozent sogar die 1-Meter-Grenze. In Basel waren es 29 Prozent. In Berlin rückten nur 18 Prozent der Autos den Velofahrern so nahe. Das zeigten Tests der deutschen Zeitung «Der Tagesspiegel» vor einem Jahr. Eine aktuelle Studie der Unfallforschung der deutschen Versicherer kam in 13 deutschen Städten zu ähnlichen Ergebnissen. Das heisst: Schweizer Autofahrer überholen Velofahrer im Vergleich zu deutschen Automobilisten fast 50 Prozent häufiger zu nah.
In der Stadt Zürich verunfallten laut Polizei im vergangenen Jahr 30 Velofahrer, weil sie von Autos oder Lastwagen gestreift wurden oder wegen zu nahen Auffahrens mit einem Fahrzeug zusammenprallten. In Basel gab es von 2016 bis 2018 elf solcher Unfälle. Das Bundesamt für Strassen zählte von 2013 bis 2018 insgesamt 513 entsprechende Unfälle. 84 Velofahrer verletzten sich dabei schwer, einer starb.
Rücksichtslose Autofahrer haben nichts zu befürchten
Hinzu kommt: Fühlen sich Velofahrer von Autos bedrängt, weichen sie nach rechts aus. Das erhöht Ihr Risiko, in eine Tür zu prallen, die sich bei einem parkierten Auto plötzlich öffnet. Im vergangenen Jahr verletzten sich bei solchen Unfällen laut dem Bundesamt für Strassen 20 Velolenker schwer. Für Velofahrer gehört es zum Alltag, mit wenig Abstand überholt zu werden. Das zeigt eine britische Studie aus dem Jahr 2015. Die Beinahe-Unfälle verunsichern. Folge: Wer Angst hat, steigt seltener aufs Velo. In der Schweiz fahren nur 7 bis 8 Prozent der Einwohner regelmässig Velo, in Dänemark sind es 23 Prozent, in den Niederlanden 36 Prozent.
Wer einen Velofahrer zu knapp überholt, hat in der Schweiz nichts zu befürchten. Im Gesetz steht nur, dass Autofahrer einen «ausreichenden Abstand» wahren müssen. Der Tessiner FDP-Nationalrat Rocco Cattaneo fordert, der Bund sollte den Abstand auf mindestens einen Meter in Tempo-30-Zonen und auf mindestens 1,50 Meter auf anderen Strassen festlegen. Christoph Merkli von Pro Velo verspricht sich davon eine «Signalwirkung zum Schutz der Velofahrer». Der Bundesrat lehnt aber eine Regelung ab. Konkrete Abstände seien «kaum kontrollier- und durchsetzbar».
So wurde die Überholdistanz gemessen
saldo rüstete zusammen mit der Berliner Tageszeitung «Der Tagesspiegel» die Velos von sechs Testfahrern mit Abstandsmessern aus.
Die drei Fahrerinnen und drei Fahrer zwischen 38 und 67 Jahren waren eine Woche im Grossraum Basel und Zürich unterwegs. Zusammen legten sie 330 Kilometer zurück. Die Sensoren erfassten 1109 Überholvorgänge von Autos, LKWs, Töffs und Bussen. Die vom «Tagesspiegel» entwickelten Geräte bestimmen per Ultraschall den Abstand des Velofahrers zum Auto. Bei der Berechnung sind 10 Zentimeter für die Länge des Rückspiegels abgezogen. Die saldo-Stichprobe ist die erste Abstandsmessung in der Schweiz.