Nur gerade 5 Millimeter lang sind die zwei Schnitte am Knie. Durch sie führt der Arzt eine winzige Kamera und chirurgische Instrumente ein. So kann er operieren, ohne dass eine grosse Wunde entsteht.
Auch am Schulter- und Hüftgelenk setzen Chirurgen immer öfter die Schlüssellochtechnik ein. Die Vorteile gegenüber der klassischen Operation mit einem grossen Schnitt: Weniger Komplikationen und Schmerzen nach der Operation, eine raschere Erholung, tiefere Kosten. Einige Schlüssellocheingriffe machen Ärzte sogar ambulant in einer Praxis.
Unter Fachleuten sind die Vorteile unbestritten. Doch Bernhard Christen, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Orthopädie, sieht darin auch eine Gefahr. Weil ein solcher Eingriff keine grosse Sache sei, sinke die Hemmschwelle, ihn durchzuführen. Folge: «Wir operieren tendenziell zu viel.»
Überlastung: Oft gehen Schmerzen wieder vorbei
So kommen auch Patienten unters Messer, die es nicht nötig hätten (siehe auch saldo 6/14). Gegen Arthrose im Knie machen viele Ärzte eine sogenannte Gelenkspülung. Dabei spült der Arzt das Kniegelenk mit Kochsalzlösung, allenfalls glättet er den Knorpel. Das soll Schmerzen lindern und das Knie wieder beweglicher machen. Doch laut dem deutschen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ist ein Nutzen dieser Massnahme «nicht erkennbar».
Für Christen ist klar: Je älter ein Patient wird, desto öfter findet man Anzeichen für Verschleiss. Aber solange Betroffene keine Beschwerden hätten, sei kein Eingriff nötig: «Nur weil man auf dem Magnetresonanz-Bild einen Schaden feststellt, muss man noch lange nicht operieren.» Oft sei ein Gelenk nur überlastet und schmerze deshalb. Dann genüge es meist, zuzuwarten: «Viele Beschwerden gehen von selber zurück, wenn man das Gelenk schont.» Deshalb solle man es mit Physiotherapie oder Medikamenten probieren, bevor man sich unters Messer lege.
Infektionen im Gelenk können schwerwiegende Folgen haben
Kommt dazu: Ganz ohne Risiko ist auch ein Schlüssellocheingriff nicht. Gefürchtet ist vor allem eine Infektion. Margrit Kessler, Präsidentin von SPO Patientenschutz: «Bei einem Gelenk ist die Gefahr viel grösser als etwa bei einer grossen Bauchoperation.» Und eine Entzündung im Gelenk könne fatale Folgen haben, so Kessler: «Im schlimmsten Fall wird der Patient für den Rest des Lebens invalid.»
Die Zürcher Gesundheitsökonomin Anna Sax spricht von einer «Überversorgung» mit solchen Eingriffen. Grund sei ein Verteilkampf unter den Spezialisten: «Pro Kopf der Bevölkerung gibt es in der Schweiz mehr Orthopäden als in vergleichbaren Ländern – und die Zahl nimmt weiter zu.»
Operieren bringt mehr Geld als Zuwarten
Besonders stark ist der finanzielle Druck in den Spitälern. Bernhard Christen: «Seit der Einführung der Fallpauschalen sind die Preise gesunken. Spitäler kompensieren das, indem sie mehr Eingriffe durchführen.» Auch Margrit Kessler bestätigt, dass viele Spitalärzte unter Druck seien, die Zahl der Operationen zu erhöhen.
Doch auch Orthopäden mit eigener Praxis haben den Anreiz, im Zweifelsfall eher zum Skalpell zu greifen. Luzi Dubs, Orthopäde aus Winterthur ZH: «Als Arzt wird man nur dafür bezahlt, was man macht – nicht dafür, was man nicht macht.» Umso mehr müsse man sich als Arzt stets vergewissern, dass ein Eingriff wirklich mehr bringe als das Abwarten. Allenfalls sollten Patienten vor einem Eingriff eine Zweitmeinung beim Hausarzt einholen, so Dubs.
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