Der Einzelrichter am Bezirksgericht Rorschach SG ist vorgewarnt. Die beiden jungen Männer, die vor ihm sitzen, sind sich spinnefeind – so sehr, dass der Friedensrichter sie beinahe aus seinem Büro geworfen hätte. «Sie haben sich damals derart übel beschimpft, dass eine Einigung aussichtslos war», sagt der Einzelrichter.
Die Männer streiten um knapp 550 Franken. Der Kläger sagt, er habe am 26. Januar 2017 beim Beklagten auf der Internetauktionsplattform Ricardo.ch einen «Ciao-Auspuff» für 50 Franken gekauft und diesen gleichentags auch bezahlt. «Ich repariere Mofas und Mopeds und habe dem Kunden versprochen, dass ich die Reparatur so schnell wie möglich erledige.» Er habe den Beklagten per E-Mail «höflich» angefragt, ob er ihm den Auspuff gleichentags zustellen könne. Den Beleg der Banküberweisung habe er gleich mitgeschickt.
Gehässige E-Mails und über 30 Telefonanrufe
Der Beklagte lebt in Rorschach und verkauft pro Jahr mehrere Hundert Artikel über Ricardo. So etwas habe er aber noch nie erlebt: «Der Mann hat mich am Abend mindestens dreissig Mal angerufen», sagt er. Und per E-Mail «in ziemlich frechem Ton» nachgedoppelt, ich solle den Auspuff sofort schicken. Üblicherweise versende er Waren erst, wenn bei ihm das Geld gutschrieben sei. Das könne ein paar Tage dauern.
Die beiden Männer schrieben sich weitere gehässige E-Mails. Am 30. Januar – vier Tage nach dem Kauf – platzte dem Ricardo-Händler der Kragen. Er teilte dem Käufer mit, dass er den Auspuff nicht zustellen werde. Doch dieser beharrte auf der Lieferung, für die er ja bezahlt hatte.
Weil es ihm aber zu lange ging, beschaffte er sich woanders einen Ersatzauspuff. Dafür bezahlte er 200 Franken. Vom Ricardo-Händler verlangte er deshalb Schadenersatz in Höhe von 150 Franken – also die Preisdifferenz zwischen dem beim Beklagten gekauften Auspuff und dem Ersatzauspuff. Doch statt Geld gabs nur ein weiteres E-Mail «mit frechen Kraftausdrücken».
Richter: «Emotionale Handlungen kommen selten gut»
Fast zwei Monate nach dem Kauf sandte der Ricardo-Händler dem Berner den Auspuff doch noch zu. Dieser weigerte sich, das Paket anzunehmen. Er brauchte es nicht mehr. «Ich musste ihn vor Gericht zerren, um mein Geld zurückzubekommen.» Jetzt verlangt der Berner neben den 150 Franken für die Mehrkosten des Ersatzauspuffs zusätzlich 400 Franken Ersatz für zwei Fahrten von Bern nach Rorschach sowie für zwei Tage Arbeitsausfall.
Der Ricardo-Händler erzählt dem Richter, der Käufer habe die Ware nicht mehr gewollt, als bei ihm das Geld eingetroffen war. Er habe ihm aber keine Kontoverbindung für die Rückerstattung des Kaufpreises angegeben. «Ich schulde ihm deshalb nichts mehr!»
Der Einzelrichter holt tief Luft. «Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie beide Fehler gemacht haben?», fragt er. Sie hätten sehr emotional gehandelt. «Das kommt selten gut.»
Er legt den Männern einen Vergleich nahe. Geduldig erklärt er ihnen, wie sie sich rechtlich in die Bredouille gebracht haben. «Anstatt ruhig abzuwarten, bis das Geld auf Ihrem Konto ist, haben Sie dem Kläger per Mail mitgeteilt, dass Sie den Auspuff nicht liefern werden», sagt der Richter zum Ricardo-Händler. Das sei der entscheidende Fehler gewesen, der für ein Urteil Konsequenzen hätte. Dem Kläger sei nichts anderes übriggeblieben, als ein Ersatzteil zu kaufen. Ausserdem habe er den Auspuff erst sechs Wochen später geliefert, obwohl das Geld schon lange auf seinem Konto war.
Die Belehrung des Richters wirkt. Beide Männer nehmen den Vergleichsvorschlag an. Richtig glücklich ist der Händler aber nicht. Er zahlt dem Kläger die 150 Franken Preisdifferenz für den Auspuff und eine Prozessentschädigung von 150 Franken. Zusätzlich muss er auch die Gerichtskosten von 200 Franken übernehmen.
Häufig Streit nach Bestellung im Internet
Wer von den beiden Parteien eines Kaufvertrages muss zuerst liefern – der Käufer oder der Verkäufer? Laut Gesetz muss der Käufer erst bezahlen, wenn er im Besitz der Kaufsache ist. Aber das Gesetz gilt hier nur, wenn nichts anderes abgemacht ist. Im Internethandel verlangen Verkäufer häufig die Vorauszahlung der Kaufsache. Das ist zulässig. In diesem Fall müssen sie ohne andere Vereinbarung die Ware nach Geldeingang sofort liefern.
Für die Käufer sind Vorauszahlungen generell problematisch: Zum Zeitpunkt der Bezahlung kennen sie die Ware noch nicht, können nicht prüfen, ob sie einwandfrei ist – und wissen auch nicht, ob der Liefertermin eingehalten wird. Streitigkeiten nach Vorauszahlungen sind deshalb häufig.