Viagogo.ch ist der weltgrösste Ticket-Wiederverkäufer und sorgt immer wieder für negative Schlagzeilen. Leute verkaufen auf der Plattform anonym Tickets für Theater, Konzerte und Sportveranstaltungen. Oft sind die Billette ungültig oder überteuert. Dazu kommen hohe Vermittlungsgebühren. Das erfahren die Kunden meist aber erst nach dem Kauf.
Medien, Politiker und geprellte Kunden prangern diese Geschäftspraktiken seit Jahren an. Allein in der Schweiz erschienen bisher über 300 kritische Zeitungsartikel zu Viagogo. saldo warnt seit 2013 vor dem «skrupellosen Ticket-Schwarzhandel». Endlich, im September 2017, reichte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beim Handelsgericht des Kantons Zürich eine Zivilklage gegen Viagogo ein. Das kann es tun, wenn jemand systematisch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) missachtet.
Auch Parlamentarier forderten den Bundesrat zum Handeln auf
Das Seco verlangt, dass das Unternehmen mit Sitz in Genf auf seiner Website klar deklariert, dass es sich nicht um einen offiziellen Verkaufskanal handelt, sondern um eine Plattform für den Wiederverkauf. Ausserdem soll Viagogo den Endpreis vor der definitiven Buchung bekanntgeben.
Der erste parlamentarische Vorstoss kam 2010 von der St. Galler SP-Nationalrätin Hildegard Fässler. Sie wollte wissen, was der Bundesrat gegen Missbrauch im Ticket-Graumarkt zu unternehmen gedenke. Der Bundesrat sah «im Augenblick keine Veranlassung, Massnahmen zu ergreifen». Die Kunden müssten selbst wissen, ob sie Fantasiepreise zahlen wollten. 2014 doppelte der Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner nach. Er verlangte, der Weiterverkauf von Tickets im Internet sei zu verbieten. Der Bundesrat lehnte mit Verweis auf die Wirtschaftsfreiheit ab.
Der Waadtländer FDP-Nationalrat Olivier Feller hat 2015 ebenfalls einen Vorstoss gemacht. Er versteht nicht, weshalb das Seco so lange untätig blieb: «Das Seco handelt zu langsam.» Und es sei durch eine «ultraliberale Ideologie getrieben». Dies schade dem Funktionieren der Wirtschaft.
Viagogo ist kein Einzelfall. Lyoness bezeichnet sich selbst als «Einkaufsgemeinschaft» und ist in Europa und Nordamerika aktiv. Das Unternehmen verspricht Rabatte für Mitglieder, die bei Partnerfirmen einkaufen. Wer Mitglied werden will, muss sich mit mehreren Tausend Franken einkaufen. Die Rabatte steigen, je mehr Mitglieder man anwirbt. Doch bald realisieren viele, dass so gut wie nichts vom versprochenen Bonusprogramm zurückfliesst – und geleistete Zahlungen nicht zurückerstattet werden. «K-Tipp» und saldo warnen bereits seit 2010 vor Lyoness.
In Norwegen musste Lyoness alle Aktivitäten einstellen. 2017 stellte das Zuger Obergericht fest, dass es sich um ein «unlauteres Schneeballsystem» handelt und Lyoness damit gegen das UWG verstösst. Trotzdem macht Lyoness unbehelligt weiter. Beim Seco heisst es, das öffentliche Interesse für eine Klage fehle.
Das Seco wies die Betroffenen an, selbst Klage einzureichen
Das Seco hält auf Anfrage fest, es habe keine Pflicht zum Klagen. Zu Viagogo sagt ein Sprecher: «Der Bund hat auch ein Prozessrisiko.» Deshalb reiche man erst eine Klage ein, wenn es genügend fundierte Anhaltspunkte gebe und wenn das betroffene Unternehmen das Geschäftsgebaren trotz Abmahnung nicht unterlasse. 2015 und 2016 habe es kaum Beschwerden aus dem Inland gegeben, deshalb «drängte sich eine gerichtliche Intervention nicht früher auf».
Bei Lyoness seien die wenigen Beschwerden ans Seco «zu wenig substanziiert» und enthielten «keine Beweismittel» für ein strafbares Verhalten. Deshalb wies das Seco die Betroffenen jeweils darauf hin, die Rückerstattung der einbezahlten Gelder selber gerichtlich einzuklagen.
Genau da sieht Cyrill Rigamonti, Professor für Wirtschaftsrecht an der Uni Bern, das Problem. «Beim Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb müssen in erster Linie Private ihre Forderungen durchsetzen.» Es sei aber effektiver, wenn in Fällen, in denen vor allem die kleinen Leute betroffen seien, eine Behörde von sich aus aktiv werde.
Viagogo wollte sich zu den Vorwürfen nicht äussern. Immerhin: Aktuell steht auf der Website, dass es sich um einen «Sekundärmarktplatz» handelt.
So können Kunden ihr Geld zurückfordern
Ein saldo-Leser kaufte mit seiner Coop Supercard Plus für 100 Euro über die Ticketplattform Viagogo.ch zwei Sitzplatzkarten für ein Fussballspiel. Dazu kamen 50 Euro Vermittlungsgebühr. Er erhielt aber Tickets für zwei Stehplätze im Wert von 30 Euro.
Beim Kreditkartenherausgeber Swisscard AECS füllte der Leser online ein Beanstandungsformular aus (www.swisscard.ch/bea). Ein paar Monate später zahlte Swisscard aufgrund der «ungerechtfertigten Belastung» die 100 Euro zurück.
Kunden müssen falsche Belastungen gemäss Allgemeinen Geschäftsbedingungen innert 30 Tagen ab Rechnungsdatum beanstanden. Dies gilt auch bei den Kreditkarten von Bonuscard, Cembra, Cornèrcard, Postfinance, UBS und Viseca. Überhöhte Gebühren erstatten die Kreditkartenfirmen in der Regel nicht zurück.
Tipp: Tickets am besten direkt beim Veranstalter kaufen.