Hans-Peter Höhn besitzt in Stettfurt TG ein schuldenfreies Haus. Sorgenfrei wohnen kann er aber nicht. Der Eigenmietwert treibt seine Steuerrechnung durch ein fiktives Einkommen massiv in die Höhe. Seine AHV und die kleine Pensionskassenrente reichen kaum fürs Leben. Der Steuerkommissär schlug Höhn vor, das Haus zu verkaufen. Der 63-Jährige ärgert sich: «Das ist doch pervers.» Vielmehr sollte endlich das fiktive Einkommen abgeschafft werden.
Nicht nur Rentner, auch jüngere Eigenheimbesitzer leiden unter dem Eigenmietwert. Grund: Der Referenzzinssatz für Hypotheken liegt zurzeit bei 1,75 Prozent, im Jahr 2000 betrug er je nach Kanton 4,25 bis 4,5 Prozent. Mit den Hypozinsen sind auch die Abzüge gesunken, die Wohneigentümer in der Steuerrechnung vom Eigenmietwert machen können.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung schätzt, dass zurzeit bei rund 80 Prozent der Wohneigentümer-Haushalte die Eigenmietwerte höher sind als die abzugsfähigen Schuldzinsen und Unterhaltskosten. Das bedeutet: Wohneigentümer liefern Steuern ab für ein Einkommen, das es nur auf dem Papier gibt. Das bestätigt unter anderen der Kanton Luzern: «Die Differenz zwischen Eigenmietwert und Schuldzinsen ist aufgrund der heutigen Zinssituation sicherlich markant positiv zugunsten des Fiskus.»
Fast jeder Kanton legt den Eigenmietwert anders fest. In manchen Kantonen dient die Marktmiete als Grundlage für die Berechnung. Die Marktmiete beruht auf dem Mietzins, den ein vergleichbares Objekt kostet. Andere Kantone nehmen den Verkehrswert als Basis. Das ist der Kaufpreis, den die Immobilie auf dem freien Markt erzielen würde.
Steigende Immobilienpreise treiben Steuern hoch
In den vergangenen zehn Jahren legten die Mieten für Wohnungen um durchschnittlich 25,4 Prozent zu, die Preise für Wohneigentum um 51 Prozent. Das zeigen Auswertungen der Immobilien-Beratungsunternehmen Wüest & Partner sowie Iazi.
Praktisch alle Kantone überprüfen die Eigenmietwerte regelmässig und passen sie den Veränderungen an. Entsprechend kommt es zu Erhöhungen. Beispiele: Der Kanton Aargau passte per Anfang 2016 die Eigenmietwerte den gestiegenen Marktmieten an. Das bringt für Kanton und Gemeinden 27,3 Millionen Franken Mehreinnahmen. Der Kanton Basel-Stadt nimmt mit dem geänderten Eigenmietwert per 2017 voraussichtlich 7,7 Millionen Franken mehr ein.
Klar ist: In den letzten Jahren nahm die Steuerbelastung für Hausbesitzer zu. Und es gibt mehr Wohneigentümer. Zurzeit liegt der Anteil an selbstbewohntem Eigentum bei knapp 40 Prozent. Ein vollständiger Systemwechsel, also die Abschaffung des Eigenmietwerts samt Streichung der Abzüge für Schuldzinsen und Unterhaltskosten, hätte für den Staat massive Steuerausfälle zur Folge. Die Eidgenössische Steuerverwaltung beziffert die Mindereinnahmen allein bei der Bundessteuer – ausgehend vom aktuellen Hypothekarzinsniveau – auf jährlich 500 bis 600 Millionen Franken. Der Kanton Aargau und seine Gemeinden müssten auf rund 40 Millionen pro Jahr verzichten (Basis: Steuerjahr 2016). Im Kanton Freiburg wären es 9 Millionen jährlich. Andere Kantone sagten saldo, es sei zu aufwendig, die Folgen einer Abschaffung des Eigenmietwerts zu berechnen.
Die Beispiele lassen den Schluss zu, dass Wohneigentümer nach einem vollständigen Systemwechsel gegen eine Milliarde Franken weniger Steuern zahlen müssten. Würden noch gewisse Abzüge zugelassen, wäre es noch viel mehr.
Wer wenig Schulden auf der Liegenschaft hat, wird bestraft
Das heutige Steuersystem belohnt nicht nur den Fiskus, sondern auch Schuldenmacher. Wer seine Hypothek abbezahlt, zahlt höhere Steuern. Wohl auch deshalb liegt die Hypothekarverschuldung der privaten Haushalte bei rekordhohen 764 Milliarden Franken – rund 91 000 Franken pro Kopf der Bevölkerung. Die hohe Verschuldung birgt Risiken. Eine vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe empfiehlt deshalb, den Eigenmietwert abzuschaffen und Abzüge wie die Schuldzinsen zu streichen.
Ins selbe Horn stösst eine parlamentarische Initiative von SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (BL). Das Parlament befasste sich noch nicht damit. Einem ähnlichen Vorstoss von SVP-Nationalrat und Hauseigentümerverbands-Präsident Hans Egloff (ZH) stimmte der Nationalrat 2014 zu. Er fordert für Wohneigentümer die einmalige Möglichkeit, auf die Besteuerung des Eigenmietwerts zu verzichten. Im Gegenzug soll der Schuldzinsabzug weitgehend gestrichen und der Unterhaltskostenabzug auf maximal 4000 Franken begrenzt werden. Kürzlich hat die zuständige Ständeratskommission den Vorstoss Egloff zwar abgelehnt. Gleichzeitig fordert sie aber einen «Systemwechsel».
Der Bundesrat will am bisherigen System nichts ändern. Kein Wunder: Die öffentliche Hand profitiert von steigenden Steuererträgen. Nachteilig wäre ein Systemwechsel auch für die Banken. Fällt der Eigenmietwert, sinkt das Hypothekarvolumen – und damit der Zinsertrag der Banken.