Vermögensanlagen: Wenn Banken nicht eindeutig auf Risiken hinweisen, haften sie für Schäden
Tausende Kunden wurden von ihrer Bank zum Kauf von Papieren der inzwischen bankrotten US-Bank Lehman Brothers überredet. Vor Gericht hätten sie gute Chancen, sagen jetzt Experten.
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saldo 03/2009
15.02.2009
Letzte Aktualisierung:
17.02.2009
Beatrice Walder K-Tipp
Die Bernerin E. Sch. war eine von vielen, die nie von sich aus auf die Idee gekommen wäre, in strukturierte Produkte wie etwa in die Papiere der US-Bank Lehman Brothers zu investieren. Doch der Leiter ihrer Credit-Suisse-Filiale überredete sie, ihre 3. Säule in der Höhe von rund 35’000 Franken in Lehman-Papiere zu investieren. Er wusste, dass sie mit ihrem Alterskapital kein Risiko eingehen wollte, und versicherte ihr: Die Lehman-Papiere seien «kapitalgesch&uum...
Die Bernerin E. Sch. war eine von vielen, die nie von sich aus auf die Idee gekommen wäre, in strukturierte Produkte wie etwa in die Papiere der US-Bank Lehman Brothers zu investieren. Doch der Leiter ihrer Credit-Suisse-Filiale überredete sie, ihre 3. Säule in der Höhe von rund 35’000 Franken in Lehman-Papiere zu investieren. Er wusste, dass sie mit ihrem Alterskapital kein Risiko eingehen wollte, und versicherte ihr: Die Lehman-Papiere seien «kapitalgeschützt». Das investierte Vermögen sei auf jeden Fall abgesichert. Sie hätte aber Chancen auf einen höheren Ertrag als auf einem Zinskonto.
Nur wenige CS-Kunden erhielten Entschädigung
Nach der Pleite der US-Bank Mitte September hatte die CS kein Interesse mehr am Kundenkontakt: Die eingeschriebenen Briefe von E. Sch. blieben unbeantwortet. In der CS-Filiale wurde sie abgewimmelt. Erst als sie einen Anwalt beauftragt und gerade die Vollmacht unterschrieben hatte, bot ihr die CS Anfang Dezember an, 80 Prozent ihres investierten Kapitals zurückzubezahlen. E. Sch. gehört zu den Glücklichen, denen die CS nach dem Lehman-Konkurs ein Entschädigungsangebot gemacht hat. Laut Angaben der CS sollen 2000 Kunden eine aussergerichtliche Offerte erhalten und – mit Ausnahme von 11 Kunden – angenommen haben. Eine viel grössere Zahl von CS-Kunden ist leer ausgegangen. Laut René Zeyer, Sprecher der «Schutzgemeinschaft der Lehman-Anlageopfer», hätten nur etwa 4 Prozent der mehr als 600 Mitglieder ein Angebot der CS erhalten. Ungefähr die gleiche Zahl nennt die Organisation «Anleger-Selbsthilfe»: Von mittlerweile gut 300 Mitgliedern hätten nur etwa 5 Prozent ein Angebot der CS erhalten.
Viele Kunden ohne Fachkenntnisse
Die Fälle der Schutzgemeinschaft gleichen sich: Es sei die CS gewesen, die von sich aus aktiv auf die Kunden zugegangen sei, damit sie ihr Spargeld statt mit einem mageren Zins mit einer höheren Rendite anlegen – und dank des angeblichen «Kapitalschutzes» auch noch sicher. Die betroffenen Kunden seien mehrheitlich ältere Personen, die vom Bankengeschäft wenig bis nichts verstünden, sagt Zeyer. Die Lehman-Opfer, die von den Banken bisher kein Angebot erhielten, haben keine schlechten Chancen, mit einer gerichtlichen Klage ihren Schaden ersetzt zu erhalten. Die Gerichte werden vor allem eine Frage prüfen: Haben die Banken bei der Beratung der Kunden oder bei der Verwaltung der Vermögen die Sorgfaltspflicht verletzt? War dies der Fall, müssen sie für den Verlust der Kunden aufkommen.
Zur Sorgfalt gehört im Bankgeschäft die Aufklärung der Kunden über die Risiken einer Vermögensanlage. In diesem Punkt hat die CS schlechte Karten: Auf den schriftlichen Informationen zu den Lehman-Papieren fehlte jeder Hinweis darauf, dass sich bei einer Pleite der US-Bank das ganze Vermögen in Luft auflösen kann. Zeyer betont denn auch: Mit der Zusicherung eines hundertprozentigen Kapitalschutzes seien die Kunden in Sicherheit gewiegt worden. Zudem habe man ihnen nicht erklärt, dass nicht die CS diesen Schutz garantiere, sondern eine Laien unbekannte US-Bank. Was auch immer damit bezweckt werden sollte – die CS-Berater wussten: Die strukturierten Produkte von Lehman passten nicht zum Risikoprofil eines einfachen Sparers. Gerade bei solchen Kunden hätte die CS deshalb besonders gründlich aufklären müssen.
Die CS betont gegenüber saldo, sie habe die Kunden auf die Risiken aufmerksam gemacht. Lehman Brothers sei einer von vielen Anbietern von strukturierten Produkten gewesen, die grundsätzlich auch für Kleinanleger geeignet waren. Die Bank sei bis zum Schluss von den internationalen Rating-Agenturen als gut bewertet worden. Und auf den Produktdokumentationen sei ersichtlich gewesen, dass das «Emittentenrisiko» ausschliesslich beim Kunden liege.
CS-Prospekte verharmlosen Risiken
saldo liegen verschiedene Prospekte der CS zu Lehman-Anlagen vor. Sie zeigen, dass die Risiken dieser Papiere verharmlost wurden: Unter dem Titel «Risiken» wird etwa aufgeführt, dass der Ertrag auf 10 Prozent pro Jahr beschränkt sei. Oder dass kein Anspruch auf Dividenden bestehe. Ein gerichtliches Vorgehen der Kunden gegen die Banken, die ihren Kunden Lehman-Papiere andrehten, ist nicht aussichtslos. Das zeigt ein Blick auf die Praxis des Bundesgerichts (siehe unten).
Bundesrichter schützen Bankkunden besser
Der auf Banken- und Vermögensverwaltungsrecht spezialisierte Zürcher Rechtsanwalt Michael Werder bemerkt eine Tendenz, dass die Bundesrichter bei den Banken mehr Sorgfalt verlangen und die Kunden besser schützen als in früheren Jahren. Bankkunden mit einem Vermögensverwaltungsvertrag rät er zu prüfen, ob die CS die Kundenvorgaben und die Richtlinien der Bankiervereinigung betreffend Information der Anleger und Risikostreuung eingehalten haben. Er sieht auch bei Kunden ohne Vermögensverwaltungsvertrag realistische Chancen, Schadenersatz zu erhalten. Je nach Fall seien Ansprüche aus einer Verletzung des Anlagevertrages möglich. Das ist in allen jenen Fällen wichtig, bei denen die CS Kunden von sich aus angegangen und zu einem Beratungsgespräch eingeladen hätten. Tritt eine Bank nämlich von sich aus beratend auf und empfehle sie Finanz-Produkte, müsste sie die Kunden unaufgefordert auch über die Risiken aufklären. Dazu gehöre, dass dem Kunden das angebotene Produkt erklärt werde. Zudem habe die Bank zu prüfen, ob das Produkt zum Anlage- und Risikoprofil des Kunden passt.
Bundesgericht: Banken zu mehr Sorgfalt angehalten
Das sind die wichtigsten Entscheide des Bundesgerichts der letzten Jahre, die Fälle von Vermögensverwaltung betreffen:
- Unsorgfältige Vermögensverwaltung. Ein Handwerker vertraute einem Vermögensverwalter 125 000 Franken an. Er unterschrieb eine Auftragsbestätigung für Optionen und bestätigte, die Risiken im betreffenden Börsengeschäft zu kennen. Nach wenigen Monaten erhielt der Kunde nur noch 16 521 Franken zurück. Wegen unsorgfältiger Vermögensverwaltung und unklar formulierten Kommissionsbedingen musste der Vermögensverwalter dem Handwerker den Schaden von 108 479 Franken bezahlen. (Urteil vom 7.10.1997)
- Anlagestrategie missachtet. Eine Stiftung liess ihr Vermögen durch einen Vermögensverwalter betreuen. Das Portfolio hatte Ende 1998 noch einen Wert von 1'094’921 D-Mark, im August 2001 war es auf 227 652 DM geschmolzen. Es war eine konservative Anlagestrategie vereinbart worden. Das Bundesgericht verpflichtete den Vermögensverwalter, der Stiftung wegen Sorgfaltspflichtverletzung 479’980 Dollar zu bezahlen. (Urteil vom 3.12.2004)
Wichtige Entscheide des Bundesgerichts betreffend Anlageberatungsverträge:
- Zu spät reklamiert. Ein Zahnarzt wurde von seiner Bank kontaktiert, ob er angesichts seines Kontostandes Interesse an Wertschriften habe. In der Folge erteilte der Zahnarzt auf konkrete Vorschläge seines Beraters hin Hunderte von Einzelaufträgen. Der Berater nahm aber auch Transaktionen ohne entsprechenden Auftrag vor, woraufhin der Zahnarzt jeweils telefonisch reklamierte. Da auf den Quartalsauszügen ersichtlich war, dass die Reklamationen nichts fruchteten, hätte der Zahnarzt nach Meinung des Bundesgerichts schriftlich reklamieren oder sich beim Vorgesetzten melden müssen. Durch sein Zuwarten habe er die Transaktionen genehmigt und erhält deshalb keinen Schadenersatz. (Urteil vom 28.9.2005)
- Bank hätte Kunden warnen müssen. Ein Privatkunde erteilte seiner Bank mehrere Anlageaufträge. Diese präsentierte ihm im Jahre 2000 zwei Studien zu seiner Finanzplanung, denen er folgte. Mitte 2002 hatte sich sein Vermögen als Folge der empfohlenen Anlagestrategie erheblich geschmälert. Das Bundesgericht bejahte eine Vertragsverletzung der Bank, die den Kunden vor den Risiken der Beibehaltung der hochspekulativen Anlagestrategie im Hinblick auf seinen beruflichen Ruhestand hätte warnen müssen. Es reduzierte den bis zur Kündigung des Anlageberatungvertrages geltend gemachten Schaden jedoch wegen Selbstverschuldens auf die Hälfte, weil der erfahrene Kunde bei etwas mehr Aufmerksamkeit den Beratungsfehler hätte erkennen können. (Urteil vom 13.6.2008)