Wie ihr dürfte es diesen Sommer vielen Reisenden ergangen sein: Irina Kainoga wartete Anfang Juni am Flughafen London-Heathrow vergeblich auf ihren Koffer. Sie war mit der Swiss aus Zürich angekommen. Noch am Airport meldete sie den Koffer als vermisst. Mehrmals telefonierte sie mit der Swiss in der Hoffnung, Näheres über den Verbleib ihres Gepäcks zu erfahren.
Es nützte nichts. Kainoga: «Teilweise wurde ich an andere Telefonnummern verwiesen, wo sich dann niemand meldete. Oder es hiess, nicht die Swiss, sondern der Flughafen sei zuständig.»
Kainoga blieb hartnäckig. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz schrieb sie Mitte Juni einen Brief an die Swiss- Geschäftsleitung. Darauf erhielt sie Antwort vom Kundendienst: Er bat sie «noch um etwas Geduld», bis sich die Gepäckermittlungsstelle bei ihr melden werde. Diese liess sich fast einen Monat lang Zeit – und teilte Kainoga am 18. Juli mit, der Suchprozess dauere noch bis Anfang September: «Sollten wir Ihr vermisstes Gepäck wider Erwarten bis dahin nicht lokalisiert haben, gilt es als verloren, und wir kontaktieren Sie für die Rückerstattung.»
Bei Gepäckverlust müssen Fluggesellschaften für den Schaden geradestehen. Die Haftung ist auf den Betrag von aktuell 1650 Franken pro Passagier begrenzt. So steht es im Montrealer Übereinkommen von 1999, das Haftungsfragen im internationalen zivilen Luftverkehr regelt.
Die Swiss sagt auf Anfrage nicht, nach wie vielen Gepäckstücken sie zurzeit suchen lässt: «Dazu haben wir keine genauen Zahlen.» Die Kofferberge, die sich in Zürich und weiteren europäischen Flughäfen wegen Personalmangels in diesen Sommerferien auftürmten, lassen indes auf ein grosses Problem schliessen. Im Fall von Kainoga hatte die Suche Erfolg: Ihr Koffer wurde ihr am 17. August nach Hause gebracht – zweieinhalb Monate nach seinem Verschwinden.
Betroffene dürfen wichtige Ersatzartikel kaufen
Bis zu 1650 Franken haften Airlines auch dann, wenn Koffer verspätet am Reiseziel eintreffen. Betroffene dürfen sich in diesem Fall notwendigen Ersatz kaufen und rückerstatten lassen, zum Beispiel Hygieneartikel und Kleidung. Es können auch teurere Artikel notwendig sein – etwa Wanderschuhe, falls man sonst die gebuchte Trekkingtour nicht antreten kann. Wichtig ist: Alle Ausgaben mit Quittungen belegen.
Swiss setzt Rückerstattung zu tief an
Die Swiss schreibt jedoch auf ihrer Website, die «maximale Rückerstattung» bei verspätetem Gepäck betrage für Passagiere in der Economy-Klasse 100 US-Dollar, in der Businessklasse 200 und in der 1. Klasse 300 US-Dollar. Das ist falsch, denn die maximale Rückerstattung beträgt 1650 Franken. Gegenüber saldo will die Swiss ihre Angaben nur als «Richtwerte» verstanden wissen. Könnten Passagiere die entsprechenden Belege vorweisen, leiste man Erstattungen «bis zum Betrag der Maximalhaftung».
Wer nach einem Flug den Koffer vermisst oder Schäden am Gepäck feststellt, sollte am Flughafen sofort den Lost-and-Found-Schalter aufsuchen und das PIR-Formular («Property Irregularity Report») ausfüllen. Passagiere müssen der Airline eine Verspätung und den Schaden schriftlich und mit Belegen innert 21 Tagen seit Gepäckaufgabe melden. Bei einer Beschädigung haben sie nach Empfang des Gepäcks sieben Tage Zeit. Und bei einem Verlust sieben Tage ab dem Moment, in dem die Airline den Verlust einräumt oder dieser als gegeben gilt. Das ist der Fall, wenn Gepäck nach 21 Tagen noch nicht aufgetaucht ist.
Swiss: Draufzahlen bei Gepäckschäden
Bei Transportschäden am Gepäck verweist die Swiss die betroffenen Passagiere an das deutsche Unternehmen Dolfi 1920. Diese Firma bearbeitet die Schadenfälle für die Airline. Das war auch bei Beatrice Wirtner aus Richterswil ZH so. Ihr Koffer war auf einem Swiss-Flug von Zürich nach Barcelona stark beschädigt worden. Dolfi 1920 stufte den Schaden als irreparabel ein und offerierte Wirtner, sie könne sich im Internetshop nach einem Ersatz umsehen. Man habe dort für sie eine Gutschrift von 76 Euro hinterlegt, was dem Zeitwert des Koffers entspreche. Und: «Vergessen Sie bitte nicht, vor Ablauf der 30-tägigen Frist zu bestellen, sonst behalten wir uns vor, Ihnen ein neues Gepäckstück unserer Wahl zum ermittelten Restwert zuzusenden.»
Einen Koffer in ähnlicher Grösse fand Wirtner im Dolfi-Shop jedoch nur zum doppelten Betrag. Verärgert zahlte sie den hohen Preis – um zu verhindern, dass ihr einfach irgendein Ersatzgepäckstück zugeschickt würde. Sie hätte sich das Geld lieber auszahlen lassen.
Auf Anfrage schreibt die Swiss, man biete «durch Dolfi auch die Option der Auszahlung an». Im E-Mail-Verkehr mit Wirtner war allerdings nie die Rede davon. Gegenüber saldo verspricht die Swiss: «Wir prüfen eine entsprechende Anpassung auf den Websites.» Und: «Unaufgefordert wird kein Ersatzgepäckstück mehr an unsere Kundinnen und Kunden gesendet.»