Der Prozess beginnt turbulent. Kläger ist ein Kleinverlag, der Landkarten herausgibt. Zur Verhandlung erschienen ist nicht der Geschäftsleiter, sondern eine Angestellte – ohne Anwalt und ohne Vollmacht. «Haben Sie das Schreiben nicht erhalten, dass Sie vorbereitet an die Verhandlung kommen müssen?», ärgert sich der Einzelrichter am Bezirksgericht Zürich. Kopfschüttelnd erlaubt er der jungen Frau, den Chef anzurufen, damit dieser die Vollmacht faxt.
Der Beklagte erscheint in Begleitung seiner Sekretärin und ebenfalls ohne Anwalt. Er ist aus dem Kanton Tessin angereist und kritisiert, dass kein Dolmetscher anwesend ist. Der Richter seufzt: Den Dolmetscher hätte er vorgängig beantragen müssen, und wiederholt: «Die Parteien müssen gut vorbereitet an die Verhandlung kommen!» Da der Tessiner relativ gut Deutsch spricht, beginnt die Verhandlung schliesslich ohne Dolmetscher.
Zuerst fordert der Richter die Verlagsmitarbeiterin auf, die Klage zu begründen. Die junge Frau weiss nicht recht, was damit gemeint ist. Geduldig erklärt ihr der Richter, sie müsse den geforderten Betrag nennen. «5143 Franken», sagt sie. «Und wofür?», will der Richter wissen. Der Verlag habe eine Landkarte gedruckt mit einem Inserat des Beklagten für seine Fahrschule. Das sei alles vertraglich abgemacht gewesen, trotzdem habe dieser die Rechnung nicht bezahlt.
Die ursprüngliche Forderung für den Druck betrage 3228 Franken, präzisiert die Verlagsmitarbeiterin. «Der Rest sind Verzugszinsen und Mahnspesen. Mein Chef hat aber gesagt, ich könne dem Beklagten entgegenkommen und darauf verzichten.» Der Richter zieht eine Augenbraue hoch und fragt: «Sie wissen aber schon: Wenn Sie jetzt den niedrigeren Betrag verlangen, können Sie später nicht mehr hoch?» Der Wink mit dem Zaunpfahl bleibt erfolglos, die junge Frau nickt bloss.
Verlag druckte Inserat für Fahrschule statt für Tauchzentrum
Nun hat der Beklagte das Wort. Er erklärt, dass er zwar ein Inserat in Auftrag gegeben habe. Aber nicht für die Fahrschule – diese existiere seit über zehn Jahren nicht mehr – sondern für sein Tauchzentrum.
Ob er den Vertrag gelesen habe, fragt der Richter nach. Der Beklagte verneint. Der Richter liest aus dem Vertrag vor: «Wenn der Inserent innert Frist keine reproduktionsfähige Vorlage einreicht, wird das Inserat nach Gutdünken des Verlags gestaltet.» Das habe er nicht verstanden, rechtfertigt sich der Tessiner. «Aber Sie haben unterschrieben», kontert der Richter. Ja, das sei dumm gewesen, nickt der Beklagte. Der Richter seufzt und mahnt: «Unterschreiben Sie nie etwas, das Sie nicht verstehen!»
Nach einer kurzen Pause fasst der Richter den Sachverhalt zusammen. Der Vertrag sei zwar fragwürdig, aber juristisch klar. Der Beklagte habe keine Inseratvorlage geschickt, der Verlag habe deshalb das Inserat selbst gestalten dürfen. «Sie hätten eine Vorlage liefern oder darauf beharren müssen, dass es sich um einen Irrtum handelt», sagt der Richter zum Beklagten. Und gegenüber der Verlagsmitarbeiterin gibt er zu bedenken, dass der Verlag vor dem Druck nochmals hätte nachfragen können. Er schlage vor, die Forderung von 3228 auf 2000 Franken zu reduzieren.
Der Richter telefoniert selber mit dem Verlagschef
Die Verlagsmitarbeiterin ist unsicher und sagt, sie müsse zuerst mit dem Chef telefonieren. Das mache er am besten gleich selbst, sagt der Richter und verschwindet mit dem Handy ins Treppenhaus.
Einige Minuten später kommt er zurück und teilt den Parteien mit, der Verlagschef wolle mindestens 2200 Franken. Er habe am Telefon «die Hände verworfen», dass seine Mitarbeiterin bei der Forderung auf die Zinsen verzichtet habe. Dieses Entgegenkommen sei erst für die Vergleichsverhandlung gedacht gewesen.
Nach gutem Zureden des Richters erklärt sich der Tessiner unter Murren bereit, die 2200 Franken zu zahlen. Der Richter erklärt ihm den Vergleich Punkt für Punkt. Nicht dass er wieder etwas unterzeichnet, das er nicht verstanden hat.
Prozessieren: Gerichtsverfahren sind sehr formalistisch
Juristerei ist die Kunst, Formfehler zu vermeiden. Das bedeutet: Eine Partei kann noch so recht haben – wenn sie nicht richtig prozessiert, nützt ihr dies nichts.
Das beginnt mit dem richtigen Erscheinen: Die Parteien müssen persönlich vor Gericht erscheinen, wenn dies so auf der Vorladung vermerkt ist. Dürfen sie sich vertreten lassen, muss der Vertreter eine schriftliche Vollmacht vorweisen. Sonst kann das Gericht die Verhandlung verschieben – auf Kosten der nicht gültig vertretenen Partei. Je nach Verfahren gilt die Klage sogar als zurückgezogen.
Eine gute Vorbereitung ist immer unumgänglich: Der Kläger hat bei Geldforderungen den Betrag genau zu beziffern. Mehr, als verlangt wurde, kann ein Gericht nicht zusprechen. Anschliessend ist zu begründen, weshalb der Betrag geschuldet ist. Der Beklagte kann antworten. Jede Partei hat zwei Mal das Wort. Was nicht gesagt wird, interessiert das Gericht nicht mehr.