Der Brief tönt dringlich: «Helvetia lanciert erneut das sehr erfolgreiche Anlageprodukt Value Trend. Handeln Sie jetzt! Mit einer einmaligen Investition von 12 000 Franken sind Sie dabei. Da das Investitionsvolumen begrenzt ist, danke ich für eine schnellstmögliche Rückmeldung.» Einen solchen Werbebrief erhielt auch Kurt S. aus Gossau SG. Absender: die Helvetia-Versicherung. Dort hat S. sein Auto versichert.
Das «Anlageprodukt» Value Trend ist eine gemischte Lebensversicherung. Das Geld muss mindestens zehn Jahre lang bei der Helvetia angelegt werden. Mit dem Sparprozess verbunden ist eine Todesfallversicherung. Dafür zweigt die Versicherung einen Teil der Einzahlung ab. Dazu wird ein Teil der Prämie für den Versicherungsverkäufer, die Administration und die Steuern verwendet. Nach all diesen Abzügen investiert die Helvetia den Rest in den «Barclays Digital Transformation CHF Index». Mit diesem Anlageprodukt der englischen Barclays Bank könne der Kunde vom «Mega-Trend Digitalisierung» profitieren. Der zugehörige Index habe seit 2011 eine Performance von 25,13 Prozent abgeworfen. Das ergibt über neun Jahre gerechnet aber nur eine bescheidene Jahresrendite von 2,5 Prozent.
Das Produkt «Value Trend» wäre für Kurt S. wenig sinnvoll. Lebensversicherungen sind dazu da, Nachkommen und Lebenspartner während des Berufslebens abzusichern. Damit Kinder ihre Ausbildung abschliessen können oder der Lebenspartner eine allfällige Hypothek weiter bedienen kann, wenn der Versicherte invalid wird oder stirbt.
Kurt S. kann dieses Jahr den 66. Geburtstag feiern. Er hat keinen Lohnausfall, den er absichern müsste. Bei der Helvetia wäre sein Geld jahrelang blockiert. Es ist Kapital, das er im Alter vielleicht plötzlich benötigt.
Aussteigen ist nur unter massiven Verlusten möglich
Nicht nur die Helvetia will angehenden Rentnern gemischte Lebensversicherungen verkaufen. saldo-Leserin Elfriede B. aus Zürich wurde im November 2020 mit 64 Jahren pensioniert und hatte über 135 000 Franken auf einem Freizügigkeitskonto bei der Swiss Life parkiert. Dieses Geld wurde zur Auszahlung fällig. Sie benötigt es im Moment nicht. Ihr Swiss-Life-Berater machte ihr als «Anlage» das Produkt «Swiss Life Premium Assets STY» mit einer Laufzeit von zehn Jahren schmackhaft. Das ist eine Fondspolice, mit der zu je einem Drittel Gelder in Swiss-Life-Fonds investiert werden (Immobilienfonds, Obligationenfonds, Aktienfonds). Elfriede B. solle 100 000 Franken einzahlen, riet der Berater. Er behauptete, sie könne aus dieser Anlage «jederzeit aussteigen».
Elfriede B. könnte tatsächlich vorzeitig aussteigen – aber nur unter massiven Verlusten. Denn sie bekäme nur den sogenannten «Rückkaufswert». Dieser ist viel geringer als der Betrag, den sie eingezahlt hätte. Beim Start der Vertragslaufzeit müsste B. gleich 2500 Franken Stempelsteuer zahlen. Das heisst: Sie würde schon am ersten Tag mit einem Minus von 2500 Franken starten, das der Fonds aufholen müsste.
Teuer könnte die Zürcherin auch eine Passage in den allgemeinen Versicherungsbedingungen zu stehen kommen: «Es kann vorkommen, dass die Reserve für den Versicherungsschutz im Todesfall bereits vor Vertragsablauf aufgebraucht ist. In diesem Fall werden die weiteren Kosten für den Versicherungsschutz im Todesfall durch Reduktion der unterliegenden Aktiven um die entsprechende Anzahl Fondsanteile finanziert.» Das heisst, dass die Swiss Life Fondsanteile der Kundin verkaufen kann – die ja als deren Sparteil gedacht sind –, um die fälligen Kosten für die Todesfallversicherung zu begleichen. Im Jahr der Finanzkrise 2008 verloren Kunden ähnlicher Fondspolicen massiv Geld («K-Geld» 2/2015). Swiss Life schreibt dazu, solch schlechte Szenarien seien höchst unwahrscheinlich.
Gleich zu Beginn wird ein Teil für das Todesfallrisiko abgezwackt
Auch die Zürich-Versicherungen offerieren Kunden vor der Pensionierung eine gemischte Lebensversicherung. So berichtet «K-Geld»-Leserin Monica B. aus Caslano TI, wie ihr Berater sie für ein «Capital Certificate Tranche 12» begeistern wollte. Das ist ein Zertifikat, mit dem man sich am Wert der Schweizer Börse beteiligt. Es wird von der französischen Bank Société Générale herausgegeben. Der Titel im Werbebrief: «Sicherheitsorientiert und gewinnbringend investieren in der Tiefzinsphase.» Monica B. solle als Einmaleinlage 50 000 Franken in das «Super-Produkt» investieren. Auch hier zwackt die Versicherung zu Beginn einen Teil fürs Todesfallrisiko ab.
Sicher ist die Anlage nicht – ein Totalverlust ist nicht ausgeschlossen. So steht im Faktenblatt ganz am Schluss: «Bei Zahlungsunfähigkeit der Emittentin ist der Wert des Zertifikats nicht geschützt.» Das heisst im Klartext: Geht die Société Générale pleite, ist Ihr Zertifikat wertlos. Ein solches Szenario ist durchaus möglich: Als die US-Bank Lehman Brothers 2008 in Konkurs ging, erlitten Kunden der Credit Suisse, die Lehman-Zertifikate hielten, einen Totalverlust. Das Zertifikat ist eben in der Realität kein Produkt der Zürich, sondern ein Anspruch gegenüber dieser französischen Bank.