Mitten im ruhigen Basler St.-Johann-Quartier betreibt das Universitätsspital Basel seit 2017 eine Praxis für künstliche Befruchtung. Seit März dieses Jahres dient sie als zusätzlicher Operationssaal für Nasen- und Mandeloperationen. Das Spital kassiert pro Eingriff den stationären Tarif von 5016 Franken für eine Mandelentfernung und 6368 Franken für eine Operation der Nasenscheidewand. Die Praxis an der Vogesenstrasse 134 befindet sich nicht auf der Spitalliste. Das Universitätsspital operiert dort ohne Bewilligung und ohne Sicherheitsprüfung der Gesundheitsbehörden.
Mehrere Spitalangestellte, die aus Angst um ihren Job anonym bleiben wollen, stört das Profitdenken ihrer Arbeitgeberin. Sie meldeten saldo die Missstände. Dokumente von Patienten zeigen, wie das Unispital vorgeht.
Narkose an Privatfirma ausgelagert
Die Praxis ist eigentlich nur für kleinere ambulante Eingriffe an Frauen ausgerichtet. Die Unterschiede zu regulären Operationen im Universitätsspital sind markant: Bei Komplikationen wie etwa starken Blutungen während des Eingriffs sind die zwei operierenden Ärzte hier auf sich allein gestellt. Eine Intensivpflegestation, die für Nasen- und Mandeloperationen zwingend vorhanden sein müsste, fehlt. Speziell ausgebildetes Personal für Operationen gibt es dort nicht, und für die Narkose ist eine private Firma zuständig.
Frisch operierte Patienten werden, kaum aus der Narkose aufgewacht, in ein Taxi gesetzt und durch die Stadt zum Universitätsspital chauffiert. Bei wenig Verkehr dauert die Fahrt zirka fünf Minuten. Ein Assistenzarzt fährt mit. Die Patienten gelangen diskret durch eine Seiteneinfahrt zum Unispitalgebäude. Zu Fuss geht es in den Lift zur Bettenstation im zweiten Stock des Klinikums 1. Dort bleiben die Patienten zwei Tage lang. Das Spital rechnet den stationären Preis ab. Seit vergangenem März behandelten Chirurgen in der Fruchtbarkeitspraxis drei bis sechs Patienten pro Woche – zusätzlich zum voll ausgelasteten Operationssaal des Spitals.
Krankenkasse kündigt Schritte gegen den Missbrauch an
Die Rechtslage ist klar: Das Unispital dürfte diese Operationen weder extern durchführen noch dafür den rund 500 Franken höheren Tarif des Universitätsspitals verlangen. saldo schilderte den Fall diversen Krankenkassen. «Das entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben», schreibt die CSS. Die Versicherung droht dem Spital mit «Schritten in Bezug auf Missbrauchsbekämpfung». Die Sanitas teilt mit: «Sofern sich der Verdacht bestätigt, würden wir gesetzliche und tarifarische Verstösse beanstanden.»
Das sei ein «erstaunlicher Fall», sagt Bernhard Rütsche, Rechtsprofessor an der Universität Luzern. Dem Basler Spital drohen massive Konsequenzen: Diese reichen gemäss Rütsche vom Zurückzahlen der zu Unrecht bezogenen Gelder über Bussen bis hin zum Operationsverbot.
Auch bei anderen Spitälern in den Kantonen Aargau, Bern, Solothurn und Zürich zeigt man sich irritiert. Die Berner Insel-Gruppe erklärt gegenüber saldo, dass sie keine Eingriffe an Aussenstandorten durchführe, die keine Operationsbewilligung hätten. Einzig das Universitätsspital Zürich gibt an, über eine Auslagerung von Operationen in eine externe Praxis nachgedacht zu haben. Es liess die Idee aber wegen «regulatorischen Hürden» fallen. Sprich: Weil das zum Schutz der Patienten nicht erlaubt ist.
Die Angestellten des Universitätsspitals Basel sagen im Gespräch mit saldo, die Klinikleitung habe mit den spitalexternen Operationen rasch mehr Umsatz generieren wollen. Es seien dafür aber nur Patienten ausgewählt worden, bei denen das Komplikationsrisiko während der Operation «vertretbar» gewesen sei. Diese Betroffenen hätte man auch ambulant behandeln können – also ohne Übernachtung im Spital. Dann aber hätte das Spital nur noch zwischen 1500 und 3000 Franken in Rechnung stellen können statt 5016 respektive 6368 Franken.
Jede vierte Nasen- und Halsoperation unnötig
Berechnungen der Basler und Baselbieter Gesundheitsbehörden von 2019 ergaben: 600 der rund 2300 Nasen- und Halsoperationen, die pro Jahr in den beiden Kantonen durchgeführt werden, sind unnötig. Das Universitätsspital führt mit insgesamt 1200 stationären Eingriffen pro Jahr im Raum Basel am meisten Hals-Nasen-Ohren-Operationen durch.
Das Universitätsspital bestätigt, dass in diesem Jahr 59 Patienten in der externen Praxis stationär operiert worden seien. Das Vorgehen sei «nicht gesetzeswidrig». Es habe weder eine Gefährdung der Patienten noch ein finanzielles Interesse bestanden. Man habe «im Interesse der Patienten» die durch die Pandemie entstandene Warteliste abgebaut.
Das Basler Gesundheitsdepartement leitete nach den Hinweisen von saldo eine «aufsichtsrechtliche» Untersuchung gegen das Spital ein.