Wilde Truten fliegen in der freien Natur auf Bäume. In der Masthalle werden die Tiere jedoch so schwer, dass sie sich kurz vor der Schlachtung kaum mehr über die Türschwelle ins Freie schleppen können. Das bestätigen Mäster gegenüber saldo. Nach 21 Wochen bringt der Vogel 22 Kilogramm auf die Waage. Freilebende Tiere werden nicht einmal halb so schwer. Tierschützer kritisieren: «Bei so viel Übergewicht schmerzt jede Bewegung.»
Die Truten leiden auch dann, wenn sie in Ställen mit dem Gütezeichen «BTS» gemästet werden. Das Kürzel steht für «besonders tierfreundliche Stallhaltung». Auch in solchen Ställen hinken Tiere aufgrund ihres hohen Gewichts, bei vielen entzünden sich die Fussballen unter der Körperlast.
Der Missstand ist seit zwanzig Jahren bekannt
Das Problem ist dem Bund bekannt. Bereits vor zwanzig Jahren entdeckten Wissenschafter des Bundesamts für Veterinärwesen: Über 90 Prozent der Masttruten in der Schweiz litten an Deformationen der Beine, die bis zur Lahmheit führten. Dem Bundesamt ist bis heute keine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung bekannt, die eine Verbesserung des Tierwohls in der konventionellen Trutenmast belegt.
Drei Viertel des Trutenfleischs, das der Schweizer Detailhandel verkauft, stammen aus dem Ausland. Die Migros importiert aus Ungarn, Coop vor allem aus Deutschland. Die Züchter preisen die Tiere als «Jumbo» oder «mobile Schwergewichte» an.
Video dokumentiert grobe Behandlung
Die Riesenvögel leiden nicht nur während der Aufzucht, sondern auch beim Transport zum Schlachthof. Ein in diesem Sommer heimlich gefilmtes Video dokumentiert, wie Truten auf einem süddeutschen Hof in Käfige gestopft werden. Der Transport ging in den Schlachthof Süddeutsche Truthahn AG. Er gehört zu Coop.
saldo legte das Video dem Schweizer Tierschutz vor. Dessen Experten kontrollieren für Coop die Einhaltung des Tierwohls für das Label «Naturafarm». Fazit der Tierschützer: «Das grobe bis sehr grobe Reinwerfen in die Container und das vereinzelte Herunterfallen der Tiere ist unhaltbar.» Tierschützer der deutschen Organisation Soko besuchen immer wieder Trutenmastställe. Auch sie sagen: «Man nimmt bewusst in Kauf, dass Tiere schwer verletzt werden.»
Im Gespräch mit saldo kritisiert eine Tierärztin auch die Betäubungsmethoden im Coop-Schlachthof. Sie kennt den Betrieb von einer Besichtigung. Man betäube die Tiere über drei Minuten lang mit CO2. Einige würden diesen Prozess aber unbetäubt überstehen und danach noch immer mit den Flügeln um sich schlagen. Diese Tiere werden mit einem Bolzenschuss betäubt und danach ausgeblutet.
Die Coop-Tochter Bell schreibt, beim Verladen der Tiere handle es sich um eine «geschulte Handhabung», die nicht «gegen den ordnungsgemässen Umgang» verstosse. Der Schlachtprozess sei von der Kontrollbehörde zugelassen. Die Tiere seien nicht überzüchtet, sondern «vital und mobil».
Poulets landen bereits nach vier Wochen im Schlachthof
Auch Poulets werden möglichst rasch aufs Schlachtgewicht gemästet. Nach vier Wochen wiegen sie 1500 Gramm und sind schlachtreif. Das ist beinahe das 40-Fache des Geburtsgewichts. Die Pouletmast war noch nie so intensiv wie heute. Vor 60 Jahren brachte es ein Poulet nach vier Wochen nicht einmal auf 300 Gramm. Das zeigen Zahlen der Stiftung zur Förderung der Geflügelproduktion und -haltung.
Die Poulets sind so gezüchtet, dass sie das Futter sehr gut verwerten. Für eine Gewichtszunahme von 1 Kilo braucht es nur etwa 1,5 Kilo Futter. Dank der raschen Gewichtszunahme lassen sich jährlich bis zu zehn Generationen mästen.
Die Kehrseite: Die Tiere leiden. Nach vier Wochen ist das Skelett noch längst nicht so entwickelt, dass es das enorme Gewicht schadlos tragen könnte. Und schon gar nicht derart schlecht verteiltes Gewicht. Die Tiere nehmen vor allem an Brust und Schenkeln zu. Knochendeformationen, Gelenkentzündungen, Herz- und Kreislaufprobleme sind die Folge.
Konventionelle Schweizer Poulets kommen bereits nach 30 bis 39 Tagen in den Schlachthof. Das schreiben Coop und Migros auf ihren Internetseiten. Bio-Poulets werden weniger intensiv gemästet: Sie landen erst nach 63 Tagen im Schlachthof.