Beide Parteien erscheinen am Landgericht in Altdorf in Begleitung eines Anwalts. Der 49-jährige Familienvater ist auf seine ehemaligen Vorgesetzten nicht gut zu sprechen. Er fühlt sich von ihnen sehr schlecht behandelt.
Die Vorgeschichte: Der Familienvater baute ab dem Jahr 2011 im Kanton Uri die Zweigstelle einer deutschen Firma auf. Zuvor war er am Hauptsitz in Deutschland sowie in Niederlassungen in Italien und Schweden eingearbeitet worden.
Im Sommer 2012 erlitt er einen Herzinfarkt. Bis Mitte Oktober gleichen Jahres war er arbeitsunfähig. Dann stieg er mit einem 50-Prozent-Pensum wieder ein. Alles habe gut ausgesehen, doch plötzlich sei der Arbeitgeber mit seiner Leistung nicht mehr zufrieden gewesen, erzählt der ehemalige Geschäftsleiter der Einzelrichterin am Landgericht Uri. Er könne sich nicht erklären weshalb.
Der gegnerische Anwalt unterbricht ihn. Der Geschäftsleiter habe während dieser Zeit «für viel Unruhe im Betrieb gesorgt» und die Angestellten nicht im Griff gehabt. Dies sei am 26. Oktober mit der Firmenleitung besprochen worden. Eine Verbesserung sei jedoch ausgeblieben.
«Deshalb wurde der Geschäftsleiter am 16. November informiert, dass die Kündigung bevorsteht.» Gleichzeitig habe man ihm angeboten, das Arbeitsverhältnis mit einer Aufhebungsvereinbarung auf Ende Februar 2013 zu beenden.
«Betrieb muss den Lohnausfall ersetzen»
Der Kläger rechtfertigt sich: «Ich habe diese Vereinbarung nicht akzeptiert. Sie war massiv zu meinen Ungunsten formuliert. Die Kündigungsfrist beträgt laut Vertrag sechs Monate.» Am Montag nach dem Gespräch sei er zum Arzt gegangen. Dieser habe ihn wegen einer schweren Depression für arbeitsunfähig erklärt.
Der Anwalt des Klägers ergreift das Wort: «Das beklagte Unternehmen hat am 12. Dezember 2012 die Kündigung per 30. Juni 2013 bei sofortiger Freistellung ausgesprochen – trotz nachgewiesener Krankheit.» Diese Kündigung sei nichtig. Das habe nachträglich auch das Unternehmen eingesehen. Deshalb sei am 21. Juni 2013 nochmals auf Ende Jahr gekündigt worden – allerdings ohne jede weitere Lohnzahlung bis zu diesem Termin.
Nach intensiven Bemühungen fand der Familienvater ab Mitte September 2013 eine neue Stelle. Zuvor hatte er Gelder von der Arbeitslosenkasse bezogen. Die Firma schulde dem Kläger die Differenz zwischen dem Lohn und dem effektiven Verdienst bis Ende Jahr. Konkret: den vollen Monatslohn für Juli und August und den halben Septemberlohn. Und ab September die Differenz zum Lohn bei der neuen Stelle sowie anteilsmässig den 13. Monatslohn. Das macht zuzüglich 5 Prozent Zins total 24 400 Franken.
«Schlechte Leistungen ausschlaggebend»
Für den Anwalt des beklagten Unternehmens hat die Krankheit mit der Kündigung nichts zu tun. «Ausschlaggebend waren die schlechten Leistungen.» Der Mann sei im Ausland intensiv und umfassend eingearbeitet worden. Bereits beim Aufbau und der Inbetriebnahme der Zweigniederlassung in der Schweiz habe sich aber gezeigt, dass es ihm an Fachkenntnissen fehle. Ausserdem sei den Vorgesetzten zum Zeitpunkt der Kündigung nicht bekannt gewesen, dass er krank sei. «Es stellt einen Missbrauch des Kündigungsschutzes dar, wenn einem durch den Arbeitgeber eröffnet wird, dass eine Kündigung bevorsteht und der Arbeitnehmer sich am nächsten Arbeitstag aus psychischen Gründen krankschreiben lässt.»
Kündigung war ungültig
Eine solche Praxis würde laut dem Anwalt der beklagten Firma dazu führen, dass sich jeder Arbeitnehmer krankschreiben lassen könnte, sobald eine Kündigung bevorstehe – nur um die Kündigungsfrist hinauszuschieben. «Ein solcher Missbrauch des Kündigungsschutzes darf keinen Rechtsschutz finden», ruft der Anwalt der Richterin zu.
Doch sie sieht das anders. Die am 12. Dezember 2012 ausgesprochene Kündigung sei nichtig. Gültig sei die Kündigung vom 21. Juni 2013. Die Richterin heisst die Klage deshalb teilweise gut und verpflichtet den Arbeitgeber, dem Kläger 13 561 Franken zu bezahlen. Das entspricht der eingeklagten Summe abzüglich der von der Arbeitslosenversicherung bezogenen Gelder. Ausserdem muss das Unternehmen dem Familienvater eine Prozessentschädigung von 5000 Franken bezahlen.
Kündigungsschutz: Nichtige Kündigung ist wirkungslos
Das Arbeitsrecht verbietet missbräuchliche Kündigungen. Darunter fallen zum Beispiel Entlassungen von Angestellten wegen der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder Rachekündigungen. Solche Entlassungen sind aber gültig, wenn sie nicht innerhalb der Kündigungsfrist angefochten werden.
Es gibt jedoch Kündigungen, die nichtig, also wirkungslos sind. Diese müssen nicht angefochten werden, sie sind schlicht und einfach ungültig.
Das gilt etwa bei Entlassungen während einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall. Hier haben Betroffene für eine gewisse Zeit den absoluten Schutz vor einer Kündigung. Im ersten Arbeitsjahr dauert er 30 Tage, im zweiten bis fünften Jahr 90 Tage und bei längeren Arbeitsverhältnissen 180 Tage. Diese Schutzfristen gelten erst nach Ablauf der Probezeit. Kündigt ein Angestellter während einer Krankheit, ist dies gültig.