Andreas Kirchheim aus Pfungen ZH liebt die Berge. Jedes Jahr unternimmt er mit Freunden eine mehrtägige Wanderung. Dabei übernachtet die Gruppe in Hütten des Schweizer Alpen-Clubs. Vor fünf Jahren erlitt Kirchheim einen Herzinfarkt. Er musste sich zwei Stents einsetzen lassen, welche die verengten Gefässe offen halten. Der heute 64-Jährige fragte beim Austrittsgespräch seinen Arzt, wie es mit den Bergtouren aussehe. Er erhielt schon bald grünes Licht.
Und so wanderte Kirchheim schon wenige Monate nach seinem Infarkt vom Kiental nach Kandersteg im Berner Oberland. Die Gruppe steigerte die Höhe langsam. Die erste Nacht verbrachte sie in der Rotstockhütte auf gut 2000 Metern über Meer, die zweite in der Gspaltenhornhütte (2455 m. ü. M.) – und am dritten Tag erreichten die Wanderer schliesslich die Blüemlisalphütte (2840 m. ü. M.). «Ich genoss es sehr», sagt Kirchheim. «Endlich war ich wieder in den Bergen.»
Studie: Bergtouren sind sechs Monate nach Infarkt möglich
Höhenluft belastet das Herz: Ab 2500 Metern über Meer enthält die Luft weniger Sauerstoff. Je dünner die Luft ist, desto stärker muss das Herz arbeiten. Doch aus der Sicht von Herzspezialisten sind Wanderungen trotzdem möglich, wie eine Übersichtsstudie von europäischen Gebirgsmedizinern zeigt. Sie erschien 2018 im «European Heart Journal». Die Forscher werteten zahlreiche Untersuchungen aus und gaben Empfehlungen ab. So dürfe man etwa schon ein halbes Jahr nach einem Herzinfarkt wieder in die Berge.
«Patienten, die sich fit fühlen und keine Beschwerden haben, können manchmal sogar schon früher wieder wandern», sagt der Zürcher Herzspezialist Stefan Christen. Entscheidend ist, ob man trotz Herzkrankheit leistungsfähig ist. «Wer im Flachland beim Gehen nicht in Atemnot gerät und keinen Druck in der Brust spürt, muss sich in den Bergen kaum einschränken», sagt Christen.
Bei verengten Herzgefässen sollte man grosse Höhen meiden
Aufpassen sollten dagegen Leute mit verengten Herzgefässen: Erhalten Teile des Herzmuskels zu wenig Blut, kann es zu einer Angina Pectoris oder einem Herzinfarkt kommen. Wer nur leicht betroffen ist, darf laut der Studie der Gebirgsmediziner auf Höhen bis 4200 Meter über Meer aufsteigen. Wer mittelschwer betroffen ist, sollte Höhen über 2500 Meter meiden. Beim Wandern erreicht man rasch solche Höhen, zum Beispiel im Engadin.
Sportarzt Christian Protte vom Bundesamt für Sport rät: «Am besten verbringt man zuerst eine bis zwei Nächte am Ausgangsort im Tal, bevor man höher hinaufwandert oder mit der Bahn hinauffährt.» Ab 2500 Höhenmetern sollte man pro Tag nur 300 bis 500 Meter weiter aufsteigen. So kann sich der Körper besser an die dünnere Luft anpassen.
Auch Patienten mit Herzschwäche dürfen in die Berge. Bei ihnen ist das Herz nicht in der Lage, genügend Blut durch den Körper zu pumpen. Gemäss der Studie dürfen sie bis auf 3500 Meter reisen, falls sie im Tal bei leichter Anstrengung nicht in Atemnot geraten.
Hoher Blutdruck ist kein Hindernis
Auch Patienten mit zu hohem Blutdruck brauchen sich in den Bergen nicht zu fürchten. Der Blutdruck steigt zwar an, weil das Herz sich anstrengen muss – doch wenn er mit Medikamenten stabilisiert sei, könne man gut in die Berge gehen, sagt Herzspezialist Christen. Einige Websites wie Aerztliches-journal.de empfehlen, ein Blutdruckmessgerät mitzunehmen. Der Zürcher Hausarzt Thomas Walser rät aber davon ab. Ein hoher Wert habe keine Bedeutung: «Er macht nur Angst.»
Wandern: Tipps für Herzpatienten
- Planen Sie die Wanderung sorgfältig.
- Überschätzen Sie sich nicht.
- Rechnen Sie genügend Zeit ein.
- Wenn Sie Blutverdünner nehmen: Vermeiden Sie Passagen, wo Sie sich verletzten könnten, wie rutschige Auf- und Abstiege oder Kletterstellen.
- Wenn Sie Blutdrucksenker der Gruppen Diuretika und ACE-Hemmer nehmen: Trinken Sie genug, denn solche Mittel wirken oft harntreibend. Beim Wandern verliert man zusätzlich Wasser.
- Lassen Sie sich von Mitwanderern nicht hetzen. Vermeiden Sie ambitionierte Gruppen.
- Übernachten Sie sicherheitshalber nur in Hütten unter 2500 Meter über Meer.