Das Restaurant «Zum Grünen Hund» ist ein kleines, feines Lokal in Winterthur ZH. Es liegt etwas abseits im Quartier Tössfeld. Auswärtige verirren sich selten dorthin. Wie andere Restaurants ist auch der «Grüne Hund» auf Tripadvisor vertreten. Auf der Internetplattform sollen Hotels und Restaurants von Gästen bewertet werden. Ende August zählte der «Grüne Hund» 32 Bewertungen. Damit belegte er unter den 231 gelisteten Restaurants in Winterthur Platz 75.
Viele Konsumenten verlassen sich auf die Bewertungen bei Tripadvisor. Doch das System ist anfällig für Betrug (siehe Kasten). Immer wieder tauchen gefälschte Bewertungen auf. Es gibt Unternehmen, die ein Geschäftsmodell daraus gemacht haben, das Rating von Restaurants oder Hotels mit Bewertungen zu beeinflussen.
saldo hat mit Einverständnis des «Grünen Hund» getestet, wie leicht sich die Ergebnisse auf der Internetseite manipulieren lassen. Dazu erstand saldo bei der deutschen Firma Fivestar-Marketing.net das Bewertungspaket «Fivestar Plus». Für Fr. 234.60 sollen Mitarbeiter des Unternehmens zwölf Bewertungen inklusive Rezensionen über das Winterthurer Lokal abgeben.
Kurz nach dem Kauf erschien die erste gekaufte Rezension. In Abständen von ein bis vier Tagen folgten die restlichen elf. Das Marketingpaket zeigte Wirkung: Innert gut eines Monats stieg das Restaurant in der Tripadvisorrangliste von Platz 75 auf Platz 19.
Das Restaurant erhielt von den gekauften Bewertern nur Höchstnoten: Das Essen ist «super lecker», das Lokal «sehr sauber und gepflegt» und das Servicepersonal «super herzlich». Unter den Bewertern finden sich viele Deutsche. Sie wollen die Quartierbeiz «aufgrund einer Geschäftsreise» oder «im Urlaub» besucht haben. Eher lustig ist der Eintrag von «lady34567» aus Dresden. Sie habe «ein sehr schönes Hotel mit super schönen Zimmern» vorgefunden. Dabei hat «Zum Grünen Hund» kein einziges Hotelzimmer.
Überschwängliches Lob in gefälschten Kommentaren
Wer genau hinschaut, kann die gefälschten Bewertungen erkennen: Die Kommentare zum «Grünen Hund» sind nicht nur verräterisch positiv – die zwölf gekauften Bewerter rezensierten auch fast die gleichen Lokale in Berlin, München, Zell im Zillertal oder Bad Kissingen. Interessant: Einige von ihnen bewerteten neben dem «Grünen Hund» noch drei andere Schweizer Lokale. Das bedeutet: Auch Schweizer Restaurants und Hotels zahlen für Bewertungen.
saldo konfrontierte die drei Lokale mit dem Vorwurf: Der Geschäftsführer des «No Name» in Chur GR gibt keinen Kommentar ab. Der Chef von «Lieblingsstück – Trattoria Mediterranea» in Netstal GL sagt, er habe keine Zeit, Auskunft zu geben. Offener war der Marketingleiter des Seminarhotels am Ägerisee in Unterägeri ZG. Er glaubt, dass sich ehemalige Mitarbeiter nach einem Streit hätten rächen wollen. Sie hätten Personen beauftragt, das Hotel schlecht zu bewerten. Die Folge: ein schlechtes Rating bei Tripadvisor und weniger Buchungen. Das Hotel habe deshalb Kunden gebeten, positive Rezensionen zu schreiben. Geld sei keines geflossen.
Fivestar Marketing rechtfertigt ihr Geschäftsmodell mit der hohen Zahl negativer, unfairer Bewertungen im Internet. Laut Geschäftsführer Henning R. Franke «stimmt das Verhältnis zwischen positiven und negativen Rezensionen in vielen Fällen nicht». Negative Bewertungen kämen von alleine, um die positiven müssten sich die Unternehmen aktiv kümmern.
Fivestar Marketing gibt es seit April dieses Jahres. Laut Franke verkauft das Unternehmen mit Sitz in Nordrhein-Westfalen jeden Monat mehrere Tausend Bewertungen. Der Anteil der Bewertungen von Dienstleistungen auf Plattformen wie Tripadvisor oder Holidaycheck betrage 60 Prozent. Die restlichen 40 Prozent entfielen auf Produktebewertungen, etwa bei Amazon oder in den App Stores von Apple und Google. Der Pool der Kommentarschreiber umfasse rund 4000 Personen.
saldo wollte wissen, wie einfach man zum gekauften Kommentator wird, und bewarb sich bei Fivestar Marketing. Dazu genügten ein Name, eine E-Mail- und Postadresse sowie die Angabe eines Bankkontos für die Überweisung des Honorars. Nach Eingabe dieser Angaben erhält man bereits Einblick in die aktuell verfügbaren Aufträge. Es sind Hunderte. Per Mausklick können die Bewerter einen Auftrag annehmen. Für eine Bewertung gibt es drei bis fünf Euro.
Portale versuchen, gekaufte Bewertungen zu erkennen
Tripadvisor kennt das Problem: «Wir gehen vehement gegen Betrugsversuche vor», sagt Sprecherin Susanne Nguyen. Ausgeklügelte Computerprogramme sowie ein spezielles Team sollen Betrugsfälle aufdecken. Tripadvisor habe letztes Jahr 59 sogenannten «Optimierungsunternehmen» das Handwerk legen können.
Nguyen sagt, gekaufte Kommentare würden gelöscht. Manchmal stufe man zudem Lokale im Ranking herab oder bringe einen Warnhinweis an. Gut möglich, dass die gefälschten Bewertungen des Restaurants «Zum Grünen Hund» nach der saldo-Recherche inzwischen gelöscht sind.
Das Reiseportal Holidaycheck und der Internet-Versandhändler Amazon verweisen ebenfalls auf automatisierte und manuelle Prüfsysteme. Die Kennzeichnung «Verifizierter Kauf» soll bei Amazon helfen, echte Bewertungen zu erkennen. Laut Holidaycheck gelangen Fälschungen nur «sehr vereinzelt» auf die Website.
Die Branchenverbände Hotelleriesuisse und Gastrosuisse raten davon ab, dem Ranking mit gekauften Bewertungen auf die Sprünge zu helfen. Tatsächlich kann sich übertriebenes Lob rächen – so geschehen bei «Lieblingsstück – Trattoria Mediterranea». Ein enttäuschter Gast schrieb auf Tripadvisor, er könne die guten Bewertungen «in keinster Weise nachvollziehen». Er gibt einen Stern und titelt «Grauenhaft».Thomas Lattmann
Nicht jede Plattform ist zuverlässig Kundenbewertungen sind ein wichtiges Entscheidungskriterium beim Einkauf im Internet. Eine dieses Jahr veröffentlichte repräsentative Umfrage des Digitalverbands Bitkom in Deutschland zeigt, dass 65 Prozent der Internetkäufer Onlinerezensionen nutzen.
Die subjektiven Bewertungen und Kommentare sind aber nicht überall verlässlich. Bei Tripadvisor und Holidaycheck kann jedermann eine Bewertung abgeben, auch wenn er gar nie im benoteten Restaurant oder Hotel war. Zuverlässiger sind Booking.com oder HRS.de. Hier kann nur Noten verteilen, wer effektiv dort war.
Auch bei Amazon oder Digitec/Galaxus können alle eine Bewertung abgeben. Immerhin: Käufer, die das Produkt tatsächlich erworben haben, sind entsprechend gekennzeichnet. Relativ hohe Sicherheit bietet das Bewertungssystem des Internetauktionshauses Ricardo.ch: Erst nach Abschluss einer Transaktion können sich Käufer und Verkäufer gegenseitig bewerten. Wer zu viele negative Bewertungen erhält, wird von der Plattform ausgeschlossen.