Die «Berner Zeitung» propagiert den «Pullunder» als «Modetrend 2015». Das ist eine Mischung zwischen Pullover und Weste. Die Mehrheit der Berner Leserschaft hat wohl noch nie etwas davon gehört.
Im Trend ist laut der «Berner Zeitung» auch Bier, das beispielsweise unter den Namen «India Pale», «Stout» oder «Porter» verkauft wird. Das Blatt schreibt unter dem Titel «Die Stange ist schal geworden» vom «urbanen Trend nach Spezialbieren». Auch die «Basellandschaftliche Zeitung» hält fest: «India Pale liegt derzeit voll im Trend.» Ähnliches hat die «Solothurner Zeitung» ausgemacht und schreibt: «Der Trend geht weiter zu stark gehopften Trendbieren.»
Schade bloss, dass die Zahlen etwas ganz anderes besagen
Diesen Trend hat nur der Schweizer Brauerei-Verband noch nicht bemerkt. Laut seinen Zahlen erreichten solche Spezialitätenbiere letztes Jahr einen Marktanteil von knapp 9 Prozent. Im Trend sind laut Verband vielmehr günstige ausländische Biere, die im Detailhandel eingekauft werden – also alles andere als die journalistisch abgefeierten Spezialitätenbiere kleiner Brauereien.
Auch die Berner Tageszeitung «Der Bund» will die Zeichen der Zeit erkannt haben: Sie behauptete Ende April in ihrem Beratungsteil «Askforce»: «Tätowierungen liegen im Trend.»
Aha. Die «Neue Zürcher Zeitung» schrieb allerdings schon 2003 über Babette Deiss, die Ehefrau des damaligen Bundesrates Joseph Deiss: «Sie ist einem Trend erlegen.» Anlass dazu war ein Tattoo, das sich die Frau des Politikers auf die Schulter stechen liess.
Kein Hut zu alt, um zum neusten Trend geadelt zu werden
Das heisst: Tätowieren ist ein «Trend», der mindestens zwölf Jahre zurückliegt. Treffender wäre: Ein alter Hut, der längst im gesellschaftlichen Establishment angekommen ist. Das Beispiel zeigt: Alles und jedes lässt sich als Trend verkaufen – auch wenn das gar nicht stimmt.
Das gilt auch für die Politik. So schreibt die «NZZ am Sonntag» im Hinblick auf die Parlamentswahlen im Oktober von «nationalen Trends», die für die Freisinnigen und die SVP als Wahlsieger sprechen. Sie beruft sich auf einen Politologen, der die Ergebnisse der letzten kantonalen Wahlen und «kurzfristige Trends» wie die Frankenstärke oder das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer analysierte.
Am Ende spielt gar der Effekt selbsterfüllender Prophezeihungen
Die NZZ ist in guter Gesellschaft. Auch die «Aargauer Zeitung» schreibt vom gleichen «Trend»: «FDP und SVP legen zu.» Und die «Thurgauer Zeitung» konstatiert: «Alle Trends sprechen für die FDP.» Unter anderem gestützt auf eine Aussage des Thurgauer FDP-Präsidenten, der – wenig überraschend – eine «Trendwende» sieht.
Alle diese Behauptungen verweisen auf die jüngsten Wahlergebnisse in 2 von 26 Kantonen – Zürich und Basel-Landschaft. Dort legte der Freisinn tatsächlich zu. Doch die Erfahrung zeigt: Die nationalen Wahlen funktionieren nach anderen Regeln.
Angebliche «Trends» bergen die Gefahr von Zirkelschlüssen. Je mehr etwas zum Trend hochgeschrieben wird, desto mehr wollen mitmachen. Denn wer will nicht trendy sein? Das sieht man schon an den vielen tätowierten, Pullunder tragenden und «India Pale» trinkenden FDP-Wählern.