Nach acht mageren Jahren stieg die Zahl der Hotelübernachtungen im vergangenen Jahr um 5,2 Prozent auf 37,4 Millionen – fast so viel wie im Rekordjahr 2008. «Der Turnaround ist geschafft!», jubelte die nationale Werbeorganisation Schweiz Tourismus. Doch das Bild täuscht: «Übernachtungszahlen sagen nichts aus über den Erfolg eines Hotels», sagt Hans R. Amrein von der Beratungsfirma Swiss Hospitality Solutions und langjähriger Chefredaktor der Fachzeitschrift «Hotelier». «Entscheidend ist, was unter dem Strich übrig bleibt.»
Seit 2007 verlor die Schweiz über 40 Prozent der deutschen, niederländischen und britischen Touristen. Dafür stieg innert zehn Jahren die Nachfrage aus China und aus Indien. Doch Amrein warnt: «Die Tour-Operators drücken die Preise so stark, dass dem Hotelier am Schluss fast nichts mehr bleibt.» In Interlaken oder Luzern würden Hotelzimmer bis zu 80 Prozent unter dem Normaltarif verkauft. «Ein Zimmer in einem 4-Sterne-Haus, das normalerweise 250 bis 300 Franken kostet, geht für 30 bis 70 Franken weg.»
Damit Chinesen und Inder immerhin zu solchen Tiefstpreisen in die Schweiz reisen, gibt Schweiz Tourismus viel Geld aus: Die öffentlich-rechtliche Werbeorganisation erhielt im vergangenen Jahr 53,2 Millionen Franken aus der Bundeskasse. Vor zehn Jahren waren es noch 46, im Jahr 2000 erst 35 Millionen.
Büros in 26 Ländern – an bester Lage
Wofür wird das viele Geld ausgegeben? Zum Beispiel für Büros in 26 Ländern. Diese sind feudal gelegen, in Paris zum Beispiel direkt neben der Oper – in unmittelbarer Nähe zur Bank of New York. Schweiz Tourismus bringt auch Jahr für Jahr Journalisten und Promis aus der ganzen Welt in die Schweiz. Sie lud etwa auch den südkoreanischen TV-Star Han Ji-Min für eine Woche Ferien ein. Als Gegenleistung soll das «Korea-Heidi» zu Hause für die Schweiz werben.
Der Tourismus wird auf Kosten der Steuerzahler, aber auch aus anderen Subventions-Töpfen finanziert: Die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredite zahlte im vergangenen Jahr Darlehen in der Höhe von 181 Millionen Franken zu Vorzugsbedingungen aus. Zudem bewilligten National- und Ständeräte für die Jahre 2016 bis 2019 insgesamt 30 Millionen Franken für ein Tourismusförderprogramm namens «Innotour». Bis Ende 2017 wurden 20 Millionen Franken für rund 50 Projekte bewilligt. Zum Beispiel für die Konzeptionsphase «Touristische Destination Sitzbank». Der «Verein zur Förderung der Schweizer Bankkultur» soll die landauf, landab stehenden «Bänkli» breiter bekannt machen.
Geld floss auch an die Fachzeitung «Hotel-Revue» für die Schaffung des Preises «Milestone». Damit zeichnet sie «Leuchttürme im Tourismus» aus. Freuen über Bundesgelder durfte sich auch die Swiss Snowsport Association für das Projekt «Steigerung des Erlebniswertes in den Schweizer Skischulen».
Im Rahmen eines Programms «Neue Regionalpolitik» unterstützen Bund und Kantone Tourismusprojekte mit weiteren 27 Millionen Franken, 113 Millionen Franken stehen für Darlehen zur Verfügung. Das ist immer noch nicht alles. Es gibt auch noch ein «Impulsprogramm Tourismus». Dafür stehen 38 Millionen Franken und 150 Millionen an Darlehen zur Verfügung.
In Bad Ragaz gibt es jeden Abend ein Lichtspektakel
Anders als beim Förderprogramm «Innotour» ist die Nachfrage beim «Impulsprogramm» noch sehr verhalten: Seit 2016 gaben Bund und Kantone erst 15 Millionen Franken aus. Zum Beispiel für «Light Ragaz»: Die Taminaschlucht bei Bad Ragaz SG verwandelt sich jeweils im Sommer für vier Monate jeden Abend in ein Lichtspektakel mit 3D-Projektionen. Ein weiteres Projekt ist «Mitarbeiter-Sharing im Saisontourismus». Die Hotel- und Gastrobetriebe von Graubünden und Tessin spannen zusammen, um Saisonarbeitern eine ganzjährige Perspektive zu bieten. Weshalb es dafür Subventionen braucht, ist unklar.
Christian Laesser, Professor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement an der Universität St. Gallen, fordert für den Tourismus «Innovationen statt Subventionen». «Um künftig im internationalen Tourismus wettbewerbsfähig zu sein, braucht es logistischen Grips. Wenn ich immer mehr internationale Touristen habe, muss ich diesen Leistungspakete anbieten, welche Übernachtungen, Bahnen und vielleicht sogar den Gepäcktransport enthalten.»
Nicht nur ökonomische, sondern vor allem Umweltaspekte stehen für Dominik Siegrist im Zentrum. Der Professor und Leiter des Instituts für Landschaft und Freiraum an der Hochschule Rapperswil ist überzeugt: «Die grosse Stärke der Alpen ist die intakte Umwelt. Nur eine ökologische Bergwirtschaft hat in Zukunft eine Chance.»
Die öffentliche Hand sollte laut Siegrist auf die Subventionierung von Projekten verzichten, die nicht umweltverträglich sind. Zum Beispiel keine grossflächigen Beschneiungsanlagen und Skigebietserweiterungen mehr finanzieren. Es gebe heute weniger Skifahrer als noch vor ein paar Jahren, deshalb solle die Schweiz Alternativen für den Skitourismus entwickeln.
«Vor über hundert Jahren war die Glanzzeit des Alpentourismus – da fuhr in den Schweizer Bergen noch kein einziger Skilift», sagt Dominik Siegrist. Und: Damals flossen keine Subventionen.
«Das ist hinausgeworfenes Geld»
Der Briger Hotelier Peter Bodenmann kritisiert die teure Imagewerbung.
saldo: Wie profitieren Sie als Hotelier von den Subventionen?
Peter Bodenmann: Überhaupt nicht – im Gegenteil. Ich zahle jedes Jahr 170 000 Franken für den lokalen Verkehrsverein. Das ist hinausgeworfenes Geld. Schweiz Tourismus macht vor allem teure Imagewerbung. Dabei ist das Image der Schweiz gut – wir sind nur zu teuer. Mit einem Bruchteil des Geldes könnte man allen Hotels und Ferienwohnungsbesitzern eine Gratis-Buchungsplattform zur Verfügung stellen. Heute zahlen die Hotels 12 bis 25 Prozent Provision an Booking.com und Co.
Sie kritisieren auch die zu hohen Beschaffungskosten?
Ja, ich ärgere mich darüber. Im Tourismus zahlen Gäste und Angestellte pro Jahr 500 Millionen Franken zu viel für Lebensmittel. Dies aufgrund der von der Schweiz erhobenen Zölle. Wir brauchen Lebensmittelpreise wie in Europa. Wer den Bauernüberschuss retten will, soll das über Direktzahlungen machen. Aber nicht auf Kosten des Tourismus, der Gäste, Angestellten und Unternehmen.
Tiefere Hotelpreise bringen nicht automatisch mehr Feriengäste auf die Skipisten.
Es gibt mehr Skifahrer als früher, aber weniger Ski-Tage. Skifahren ist nicht tot, aber für viele zu teuer. Wir brauchen übertragbare Generalabos für alle Bahnen. Neue Projekte wie die Wintercard in Saas Fee und der Magic-Pass in Crans-Montana bringen immerhin Bewegung ins Spiel.
Wie lässt sich der Tourismus ankurbeln?
Die attraktivsten Bahnen der Schweiz sind durchschnittlich hundert Jahre alt. Wir brauchen mehr Innovation. Die Nationalbank müsste ein Promille ihres Vermögens von 800 Milliarden Franken in einen Fonds investieren, statt immer mehr Facebook-Aktien zu kaufen. Im italienischen Courmayeur wurde ein Skyway für 140 Millionen Euro dank Unterstützung der EU und des Staates gebaut.
Wir brauchen noch bessere Projekte.