Proviande, die Branchenorganisation der Fleischwirtschaft, hält mit Nachdruck fest: «Die Schweiz hat eines der strengsten Tierschutzgesetze der Welt. Unabhängige Kontrollen sorgen dafür, dass diese auch eingehalten werden.»
Stimmt das? Das Tierschutzgesetz schreibt ganz allgemein vor, dass Tiere «angemessen» ernährt und gepflegt werden müssen. Genauer regelt es die Tierschutzverordnung. Beispiele: Rinder müssen einen mindestens 1 Meter breiten Standplatz haben, wenn sie schwerer als 400 Kilo sind. Schweine mit über 110 Kilo sollen mindestens 1,65 Quadratmeter Platz haben. In Gehegen für Legehennen mit bis zu 150 Tieren dürfen pro Quadratmeter höchstens 6 Tiere über 2 Kilo Gewicht gehalten werden.
Gesetze sind aber bloss so gut wie die Kontrollen. Jeder Bauernbetrieb mit Tieren muss nur mindestens einmal in vier Jahren überprüft werden. Diese Kontrollen werden auf Voranmeldung durchgeführt. Nur eine von zehn Kontrollen muss unangemeldet erfolgen. Das steht seit 2014 in der Verordnung für Kontrollen von Landwirtschaftsbetrieben. Der Schweizer Tierschutz (STS) hatte sich dafür eingesetzt, dass mindestens jede zweite Kontrolle ungemeldet sein muss.
Tatsächlich erfolgen nicht einmal 10 Prozent der vorgeschriebenen Kontrollen unangemeldet. «Im vergangenen Jahr erfüllten nur elf Kantone diese Mindestquote», sagt Hans Wyss, Direktor des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Das sei «inakzeptabel».
Offenbar nehmen es die Kontrolleure mit ihrer Arbeit nicht besonders genau. Wer aber kontrolliert die Landwirtschaftsbetriebe? Der Bund delegiert diese Aufgabe an die Kantone. Und viele kantonale Veterinär- und Landwirtschaftsämter beauftragen damit private Firmen. Im Kanton Zürich ist dies die Agrocontrol. Das Unternehmen beschäftigt rund 30 Kontrolleure – die meisten sind Landwirte. Agrocontrol gehört dem Zürcher Bauernverband. Bauern kontrollieren also Bauern.
Ferdi Hodel, Geschäftsführer des Zürcher Bauernverbands, hält dem entgegen, dass Agrocontrol unabhängig vom Verband sei. «Der Bauernverband darf Agrocontrol keine Weisungen erteilen», sagt er. Zudem werde die Arbeit der Kontrolleure von der kantonalen Verwaltung mit Stichproben überprüft.
Dem Schweizer Tierschutz sind die Verflechtungen ein Dorn im Auge. Geschäftsführer Hansuli Huber verlangt, «dass die Unabhängigkeit der kantonalen Kontrollorganisationen überprüft wird».
Stellen die Kontrolleure bei ihrer Tätigkeit Verstösse gegen das Tierschutzgesetz wie Mangelernährung oder zu wenig Auslauf fest, erhalten die Bauern weniger Direktzahlungen. Das Bundesamt für Landwirtschaft schätzt die Summe der Kürzungen für das vergangene Jahr auf 3 bis 4 Millionen Franken. Betroffen gewesen seien rund 4000 Bauern. Im Klartext: 4000 Bauern verstiessen gegen die Tierschutzbestimmungen.