Tierschützer ausgetrickst
Seuchen wie BSE und Geflügelpest werden durch Massentierhaltung begünstigt. Trotzdem setzen die Schweizer Behörden die Höchstbestände hinauf.
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saldo 3/2004
18.02.2004
Sigrid Cariola
Millionen von Hühnern, die verbrannt werden: Diese Bilder aus Asien schockieren. Um die Vogelgrippe einzudämmen, hilft offenbar nur die Ausrottung ganzer Mastbestände. Elf Länder sind zurzeit vom Vogelgrippe-Virus betroffen - vornehmlich in Asien. Doch auch in den USA sind erste Fälle aufgetreten. Und selbst Europa bleibt nicht von Tierseuchen verschont: Im vergangenen Jahr fielen allein in den Niederlanden 30 Millionen Tiere der Geflügelpest zum Opfer.
Neu bis zu 27...
Millionen von Hühnern, die verbrannt werden: Diese Bilder aus Asien schockieren. Um die Vogelgrippe einzudämmen, hilft offenbar nur die Ausrottung ganzer Mastbestände. Elf Länder sind zurzeit vom Vogelgrippe-Virus betroffen - vornehmlich in Asien. Doch auch in den USA sind erste Fälle aufgetreten. Und selbst Europa bleibt nicht von Tierseuchen verschont: Im vergangenen Jahr fielen allein in den Niederlanden 30 Millionen Tiere der Geflügelpest zum Opfer.
Neu bis zu 27 000 Hühner in einem Stall
Je grösser die einzelnen Mästereien, desto mehr Tiere müssen beim Ausbruch einer Seuche getötet werden. «Der gesunde Menschenverstand verlangt, die Bestände herunterzusetzen», sagt Hans-Ulrich Huber, Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes STS.
Doch die Schweiz handelt genau umgekehrt: Im Dezember wurden die Höchstbestände für die Schweine- und Hühnermast hinaufgesetzt. Statt 16 000 Masthühner dürfen in einem Stall seit Anfang Jahr bis zu 27 000 Tiere gehalten werden. Bei den Schweinen sind es 1500 statt 1000 Tiere. «Die neue Verordnung führt nicht dazu, dass die Tiere weniger Platz haben», heisst es beim Bundesamt für Landwirtschaft. Die bisherigen Tierschutzbestimmungen bleiben gültig.
Tierschützer, Umweltverbände und Kleinbauern kritisieren die massive Aufstockung der Höchstbestände dennoch. Hans-Ulrich Huber: «Der Seuchenschutz wird erschwert. Bei einer Erkrankung sind auf einen Schlag Zehntausende von Tieren betroffen.» Und Herbert Karch, Geschäftsführer der Kleinbauernvereinigung, befürchtet noch andere Konsequenzen: «Ein Betrieb, der im grossen Stil auf Tiermast setzt, wird vorbeugend Medikamente einsetzen.» Der Besitzer könne es sich schlichtweg nicht leisten, zuzuwarten, wenn ein paar Tiere kränkeln.
Für Karch ist bei Ställen mit 4000 Hühnern die Obergrenze erreicht. Bei Beständen mit bis zu 27 000 Tieren verlören die Inlandproduzenten ihr bestes Verkaufsargument, glaubt er. «Warum sollen Konsumenten teures Schweizer Poulet bevorzugen, wenn unsere Produktion jener der ausländischen Tierfabriken immer ähnlicher wird?» Von den neuen Höchstbeständen profitieren nur wenige Grossbetriebe. Hans Ueli Wüthrich von den Schweizer Geflügelproduzenten schätzt, dass maximal 10 der 1100 Mastbetriebe die Obergrenze ausschöpfen können.
Deren Besitzer sind es denn auch, die gemeinsam mit den Schweinemästern Parlament und Verwaltung bearbeiteten. Ein erster Vorstoss im Nationalrat scheiterte letztes Frühjahr. Der Zuger Schweinezüchter und SVP-Nationalrat Marcel Scherer hatte beantragt, Artikel 46 über die Höchstbestände im neuen Landwirtschaftsgesetz ganz zu streichen. Das Parlament lehnte das Ansinnen wuchtig mit 109 zu 36 Stimmen ab.
Die Mäster wollen Höchstgrenzen ganz abschaffen
Damit wollten sich die Mäster nicht abfinden und versuchten via Bundesamt für Landwirtschaft Einfluss zu nehmen. Mit Erfolg: Der Bund schaffte die Höchstbestände zwar nicht ab, setzte aber die Limite für Schweine- und Hühnerzuchten deutlich hinauf. Die Kleinbauern und der Schweizer Tierschutz fühlen sich ausgetrickst. «Das wurde am demokratischen Prozess vorbei entschieden», sagen sie. Jürg Jordi, Sprecher des kritisierten Bundesamtes, rechtfertigt den Entscheid: «Wir können von den Bauern nicht verlangen, dass sie marktwirtschaftlich denken, und ihnen auf der anderen Seite mit Beschränkungen das Leben schwer machen.»
Hoher Konsum
Pro Jahr werden in der Schweiz 90 000Tonnen Geflügelfleisch verzehrt. Etwa die Hälfte kommt aus dem Ausland. Hauptlieferanten sind Frankreich (28 %), Deutschland (21 %) und Ungarn (17 %). Es folgen Brasilien (11 %) und Thailand (8 %). Nach dem Antibiotika-Skandal vor zwei Jahren in China setzen Importeure statt auf Asien vermehrt auf Osteuropa und Südamerika. Tierschützer kritisieren, dass sich die Probleme nur verlagern.
Auch in der EU stehen Massentierhaltung und Tierschutz in krassem Widerspruch: Immer noch sind 35 bis 40 Kilogramm Geflügel pro Quadratmeter erlaubt. In der Schweiz sind es «nur» 30, was etwa 20 Hühnern entspricht.
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