Konnte das Tier nach draussen? Oder war es sein Leben lang im Stall eingesperrt? Hatte es Spielmöglichkeiten oder vegetierte es vor sich hin? Wer sich solche Fragen vor dem Fleischregal stellt, erhält keine schnellen Antworten. Im besten Fall findet er auf der Verpackung das Signet eines Tierwohllabels. Doch die wenigsten Konsumenten wissen, was das konkret bedeutet. Jedes der über 30 Tierwohl- oder Biolabels hat die Anforderungen an die Tierhaltung individuell geregelt.
Konsumenten in Deutschland haben es leichter. Kaufen sie Frischfleisch im Selbstbedienungsbereich, können sie auf einen Blick erkennen, wie ein Tier gehalten wurde. Die Grossverteiler Edeka, Rewe, Penny, Aldi und Lidl kennzeichnen Rind-, Schweine- und Pouletfleisch seit einem Jahr freiwillig mit einer vierstufigen Deklaration zur «Haltungsform». Die Farben Rot, Blau, Orange oder Grün klären über die Tierhaltung auf: Rot steht für «Stallhaltung»: Die Tiere lebten, meist dicht gedrängt, nur im Stall. Schlechter gehts nicht. Blau bedeutet «Stallhaltung Plus». Diese Tiere haben 10 Prozent mehr Platz und Beschäftigungsmaterial. Das orangefarbene Etikett signalisiert «Aussenklima»: Die Tiere dürfen ins Freie. Bei «Grün» haben sie weitere Auslaufmöglichkeiten. Biofleisch fällt in diese Kategorie.
Die Ampelfarben wurden bereits bei andern Lebensmitteln eingeführt: Der Nutriscore auf der Verpackung zeigt etwa, wie gesund oder ungesund ein Produkt ist (saldo 8/2020).
Rewe und Lidl stellen noch keine wesentliche Veränderung im Kaufverhalten fest. Achim Spiller, Professor für Marketing von Lebensmitteln an der Universität Göttingen (D) beobachtet jedoch, dass die Läden tendenziell Produkte aus den Regalen entfernen, die nur dem Mindeststandard entsprechen und mehr Fleisch aus höheren Haltungskategorien ins Sortiment nehmen.
Die Fleischampel wäre auch in der Schweiz leicht umsetzbar. Seit Juli 2018 sammelt die Branchenorganisation Proviande in den Schlachthöfen DNS-Proben. Sie erfasst so 88 Prozent der Schlachttiere. Laut Proviande liessen sich die Informationen zur Tierhaltung mit geringem Aufwand abrufen.
Marco Staub vom strengen Biolabel KAGfreiland ist für die Einführung der Fleischampel in der Schweiz: «Sie bietet Konsumenten eine gute Orientierung.» Viele würden heute angesichts des Wirrwarrs an Labels kaum mehr durchblicken. Cesare Sciarra vom Schweizer Tierschutz stimmt zu: «Je einheitlicher und einfacher die Deklaration ist, desto besser können sich Konsumenten informieren.» Auch Fritz Rothen, Geschäftsführer des Labels IP Suisse, sieht Vorteile: Aus der Ampel würde hervorgehen, welche Mehrleistungen Bauern bei der Tierhaltung erbringen.
Und Meinrad Pfister vom Verband der Schweineproduzenten Suisseporcs fordert: «Eine klare Kennzeichnung der Tierhaltung gehört auf jede Verpackung.» Er glaubt, dass informierte Konsumenten mehr für Fleisch aus besserer Haltung ausgeben würden. Davon geht auch Sandra Helfenstein vom Bauernverband aus. Der Verband verlangt, auch Importfleisch zu kennzeichnen.
Grossverteiler sehen keinen Handlungsbedarf
Die Grossverteiler hingegen sperren sich gegen mehr Transparenz. Ein Coop-Sprecher behauptet, eine Fleischampel komme einer Bewertung gleich und stelle keine Information dar. Die Migros verweist auf die konzerneigene «M-Check»-Kennzeichnung, die «analog zur Ampel» etwa Weide- oder Auslaufhaltung auszeichne.
Ein Augenschein in einer Baselbieter Migros-Filiale zeigt allerdings, dass nur gerade vier Produkte im Frischfleischsortiment eine «M-Check»- Kennzeichnung haben. Eine Sprecherin von Lidl Schweiz behauptet, dass auf allen Produkten ersichtlich sei, welche Kriterien der Haltung berücksichtigt wurden. Und Aldi Suisse begründet das Nein zur Ampel damit, dass die Tierwohlstandards in der Schweiz in der Regel höher seien als in anderen Ländern.
«Jeder Grossverteiler kocht sein eigenes Süppchen»
Dabei hat auch die Schweizer Fleischbranche in Sachen Tierwohl noch viel Luft nach oben: Zum Beispiel erfüllen 60 Prozent des Schweizer Rindfleischs nur gerade die gesetzlichen Mindestanforderungen. Bei den Lämmern sind es 85 Prozent und bei den Mastschweinen über 65 Prozent. Das zeigen Zahlen des Bauernverbands. KAGfreiland-Experte Marco Staub ärgert es, dass «jeder Grossverteiler sein eigenes Süppchen kocht», anstatt gemeinsam das Tierwohl zu fördern. Und Meinrad Pfister von Suisseporcs mahnt die Grossverteiler an, «mehr für den Absatz von Labelfleisch zu tun». Sie kümmern sich vor allem um die eigenen Margen und verlangen zum Beispiel bei Biofleisch oder Fleisch mit Tierwohllabels überrissene Preise (saldo 2/2020).
Niederlande: Positivlabel für Fleischprodukte
Eine einfache Deklaration zur Tierhaltung gibt es nicht nur in Deutschland. Niederländische Tierschützer und Bauern etwa lancierten vor über zehn Jahren das Positivlabel «Besser Leben» für Fleischprodukte. Auf der Verpackung sind die Kategorien mit Sternen gekennzeichnet. Wer bei der Tierhaltung nur gerade den gesetzlichen Minimalstandard erfüllt, erhält keinen Stern. Fleischproduzenten mit einer etwas verbesserten Stallhaltung bekommen einen Stern. Bei zwei Sternen haben Schweine zum Beispiel mehr Platz, Licht und Auslauf. Drei Sterne entsprechen der Bio-Qualität.
Das sagen Konsumentinnen und Konsumenten zur Fleisch-Ampel
Nathalie Benz, Männedorf ZH
24 Jahre, Studentin Universität Zürich
«Die jetzigen Deklarationen auf den Frischfleischverpackungen sagen nichts aus. Ein Ampelsystem bringt sicher die nötige Aufklärung. Dafür wäre ich sogar bereit, mehr zu bezahlen.»
Rita Demont, Zürich
62 Jahre, Hausfrau und Administration Immobilienverwaltung
«Anstatt eine weitere Information auf die Verpackung zu setzen, sollten die zuständigen Prüfstellen die geltenden Tierhaltungsrichtlinien strenger kontrollieren.»
David Kuc, Zürich
35 Jahre, Pflegefachmann Anästhesie
«Ich will wissen, wie das Tier gehalten wurde. Dies wird aktuell nicht verständlich deklariert. Bei Gemüse wird die Herkunft transparenter kommuniziert. Warum sollte dies beim Fleisch nicht auch so sein? Ein Ampelsystem finde ich einen guten Lösungsansatz.»
Dieter Burckhardt, Stäfa ZH
70 Jahre, Rentner
«Mir ist es eigentlich egal, was auf der Verpackung steht. Deshalb braucht es auch keine Deklarationsampel.»
Elena Marti, Zürich
28 Jahre, Pharmaassistentin
«Die Verpackungen enthalten zu viele nichtssagende Informationen. Ein einheitliches Ampelsystem würde sicher Klarheit schaffen.»
Marcel Müller, Zürich
72 Jahre, Rentner
«Eine Ampel ist hilfreich für Menschen, die nicht mehr so gut lesen können. Aber grundsätzlich braucht es nicht mehr Deklarationen auf der Verpackung.»