René Baumann alias DJ Bobo erklärt auf der Kampagnen-Website: «Bei Heiserkeit muss ich meine Stimme schonen. Mit Salzwasser gurgeln hilft genauso gut wie eine halbe Stunde beim Hausarzt.» Das Luzerner Gesundheits- und Sozialdepartement will mit Unterstützung des Sängers und Tänzers gegen die steigenden Kosten im Gesundheitswesen vorgehen. Ihr Zielpublikum: die Patienten. Sie sollen weniger zum Arzt gehen. Kosten der Kampagne: 100 000 Franken.
Doch suchen die Patienten in der Schweiz wirklich zu häufig den Arzt auf, wie ihnen das die Luzerner Kampagne unterstellt? Die Studie «Panorama de la santé 2017» der internationalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kommt zu einem anderen Schluss: Demnach gehen Krankenversicherte in der Schweiz im Durchschnitt 3,9 Mal pro Jahr zum Hausarzt oder Spezialisten (siehe Tabelle). In Europa suchen nur die Schweden mit 2,9 Besuchen pro Jahr noch seltener den Arzt auf. Der Durchschnitt der 31 OECD-Mitglieder beträgt 6,9 Arztbesuche. Das sind fast doppelt so viele wie in der Schweiz.
Die Zurückhaltung der Schweizer gegenüber Arztbesuchen ist erklärbar: Patienten müssen dafür im internationalen Vergleich besonders viel aus der eigenen Tasche zahlen. Laut der OECD-Datenbank steuern sie im Durchschnitt 37 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben aus dem eigenen Sack bei. In Frankreich sind es 17 Prozent, in Dänemark und Schweden 16 Prozent und in Deutschland und Norwegen 15 Prozent. Grund: Schweizer zahlen neben Krankenkassenprämien stets eine Selbstbeteiligung in Form von Franchise und Selbstbehalt. Zudem sind viele Kosten wie Zahnarztbehandlungen oder Brillengestelle nicht von der Krankenkasse gedeckt (saldo 12/2018).
Allein die Anti-Tabak-Kampagne verschlang 16,7 Millionen
Selbst der Bundesrat macht in einem Bericht klar: Die Zahlungen aus dem eigenen Sack «pro Kopf liegen auch kaufkraftbereinigt in der Schweiz weitaus am höchsten». Mehr noch: Im selben Bericht hält der Bundesrat fest, dass 10 bis 20 Prozent der Versicherten «aus Kostengründen» auf medizinische Leistungen verzichten.
Die fragwürdige Luzerner Kampagne ist kein Einzelfall. Das Bundesamt für Gesundheit gibt immer wieder Millionen an Steuergeldern für Kampagnen aus, deren Nutzen nicht ersichtlich ist. Beispiele: Die Anti-Alkohol-Kampagne kostete seit 2011 insgesamt 3,2 Millionen Franken, die Anti-Tabak-Kampagne seit dem selben Jahr 16,7 Millionen Franken. Das Bundesamt finanzierte mit diesem Geld TV-Spots, Inserate und Plakate mit dem Antiraucher-Slogan «Ich bin stärker» oder Videoclips mit dem Titel «Alkohol verändert die Wahrnehmung».
Es gibt immer noch gleich viele Alkoholiker – trotz Kampagne
Der Haken: Diese Kampagnen erreichten die Raucher und Vieltrinker offensichtlich nicht. Gemäss der Stiftung «Sucht Schweiz» sind zurzeit 250 000 Leute alkoholabhängig. Daran änderte sich seit acht Jahren nichts. Das gleiche Bild bei den Rauchern: Ihre Anzahl ist laut Bundesamt für Gesundheit seit dem Jahr 2011 unverändert hoch: 27 Prozent der über 15-Jährigen greifen regelmässig zu Zigaretten.
Das Scheitern der Anti-Tabak-Kampagne für die Phase 2014 und 2017 räumten denn auch die Autoren einer sogenannten «Wirksamkeitsanalyse» ein: «Gesamtschweizerisch wurde in keiner Phase eine Motivierungswirkung ersichtlich.» Das BAG sagt, dass die Mittel, die für die Anti-Tabak- und Anti-Alkohol-Kampagnen aufgewendet worden sind, sehr gering seien im Vergleich mit denjenigen der Werbeindustrie. «Aus dieser Sicht ist es bereits ein Erfolg, wenn die Zahl der Konsumierenden nicht steigt.»
Auch bei der neusten Gesundheitskampagne des Bundes gegen Antibiotikaresistenzen stellt sich die Frage, ob sie sich an die Richtigen wendet. Sie kostete allein im letzten Jahr 2 Millionen Franken und soll voraussichtlich weitere drei Jahre laufen. Der Slogan «Antibiotika: Nutze sie richtig, es ist wichtig» soll Patienten motivieren, «verantwortungsvoll mit diesen Medikamenten» umzugehen. Tatsache ist: Antibiotika werden von den Ärzten verschrieben, nicht von den Patienten.