Die Läden erhöhten im laufenden Jahr die Preise für viele Produkte des täglichen Bedarfs. Der «K-Tipp» stellte bei einer Stichprobe Ende April Aufschläge bis zu 70 Prozent fest («K-Tipp» 9/2022). Die Konjunkturforschungsstelle der ETH rechnet dieses Jahr mit einem Preisanstieg von durchschnittlich 1,9 Prozent. So hoch war die Teuerung zuletzt im Jahr 2008.
Weil die Preise steigen, ist für die Gewerkschaften schon jetzt klar, dass auch die Löhne für die Angestellten angehoben werden müssen: «Ohne Teuerungsausgleich hätten Berufstätige mit einem durchschnittlichen Lohn sonst real 1600 Franken weniger Einkommen pro Jahr», schreibt Daniel Lampart, Chefökonom des Gewerkschaftsbundes.
Zwölf Kantone passen die Steuern nicht an
Doch selbst wenn alle Berufstätigen den vollen Teuerungsausgleich von 1,9 Prozent erhielten, hätten sie nächstes Jahr in zwölf Kantonen unter dem Strich weniger Geld im Portemonnaie. Sie würden zwar wegen des Teuerungsausgleichs auf dem Papier mehr verdienen, müssten dafür aber mehr Einkommenssteuern zahlen als dieses Jahr. Grund: Viele Kantone passen den Steuertarif bei einer Teuerung von 1,9 Prozent nicht an. Das sind: die beiden Appenzell, Glarus, Graubünden, Neuenburg, Obwalden, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, St. Gallen, Wallis und Zürich. Die Kantone Appenzell Ausserrhoden, Graubünden, St. Gallen und Wallis würden erst ab einer Teuerung von 3 Prozent reagieren, wie sie saldo schreiben. St. Gallen argumentiert, die Tarifklassen sollten «nicht bei jeder geringfügigen Veränderung» angepasst werden. Innerrhoden, Glarus und Schwyz würden sogar erst bei einer massiven Teuerung von 10 Prozent reagieren. Zürich muss laut dem kantonalen Steuergesetz spätestens auf das Jahr 2024 die Teuerung berücksichtigen.
Was das fürs Portemonnaie der Bürger bedeutet, zeigt ein Beispiel aus dem Kanton St. Gallen: Ein lediger Angestellter ohne Kinder und mit einem Bruttolohn von aktuell 70 000 Franken würde im kommenden Jahr 71 330 Franken verdienen, wenn er den vollen Teuerungsausgleich von 1,9 Prozent erhielte. Aufgrund des höheren Lohns müsste er in der Stadt St. Gallen 273 Franken mehr Steuern bezahlen. In der Stadt Solothurn würde der Angestellte zusätzlich 248 Franken an Steuern zahlen, in der Stadt Zürich 209 Franken.
Bürgerfreundlicher sind der Bund sowie die Kantone Aargau, beide Basel, Bern, Genf, Jura, Luzern, Tessin, Thurgau, Waadt und Zug. Sie werden den Steuertarif bei einer Teuerung von 1,9 Prozent im Jahr 2022 automatisch anpassen. Dazu kommen voraussichtlich Freiburg und Nidwalden, wie die beiden Kantone saldo schreiben. Uri ist mit seinem linearen Steuertarif ein Sonderfall. Die Teuerung wird über höhere Steuerabzüge ausgeglichen. Der Bund passt die Einkommenssteuer und die Steuerabzüge der Teuerung an.
Die Kantone, welche die Einkommenssteuern nicht an die Teuerung anpassen, profitieren von zusätzlichen Steuereinnahmen in Millionenhöhe. Beispiel Kanton Graubünden: Allein die 118 000 steuerpflichtigen Personen mit einem steuerbaren Einkommen zwischen 1 und 100 000 Franken würden dem Kanton zusätzliche Einkommenssteuern von rund 6 Millionen bescheren. Das zeigen saldo- Berechnungen mit Daten der eidgenössischen Steuerverwaltung. Dazu kommen die Mehreinnahmen für die Gemeinden. Auch der Bund nimmt dank der Teuerung mehr Steuern ein. Denn mit den Preisen steigt die Mehrwertsteuer. Bei 1,9 Prozent Teuerung zahlen die Konsumenten laut Finanzdepartement rund 456 Millionen Franken zusätzlich in die Bundeskasse.
Kinderabzug wird in 13 Kantonen nicht angepasst
Um die Teuerung vollständig auszugleichen, müssten die Kantone nicht nur die Tarife der Einkommenssteuern anpassen, sondern auch die Steuerabzüge erhöhen. Das machen ebenfalls nicht alle Kantone automatisch.
Der Kinderabzug zum Beispiel wird in den folgenden 13 Kantonen im nächsten Jahr nicht der Teuerung angepasst: In beiden Appenzell, Basel-Landschaft, Bern, Glarus, Graubünden, Neuenburg, Obwalden, Schaffhausen, Solothurn, St. Gallen, Schwyz und Zürich. Der Kanton Basel-Landschaft schreibt: «Dafür wäre eine Gesetzesanpassung notwendig.»
Es ginge auch anders: Freiburg plant eine Gesetzesänderung und eine Erhöhung des Kinderabzugs um 100 Franken.