Der Präsident der Bürgerinitiative AnStoss seufzt. «Dieses Jahr ist es besonders schlimm», sagt er. An schönen Samstagen rasen Dutzende Töffs in ohrenbetäubender Lautstärke an seinem Haus in Altstätten SG vorbei. Viele Motorradfahrer liefern sich Wettrennen auf der Bergstrecke nach Gais AR. Der Anwohner schützt sich mit Kopfhörern. Wenn möglich verreist er übers Wochenende. Seinen Namen möchte er aus Angst vor Reaktionen nicht in der Zeitung lesen.
Die Lärmschutzfachstelle des Bundesamtes für Umwelt erhält pro Jahr rund 100 Beschwerden. Jede dritte bezieht sich auf Motorräder. Dabei machen diese nur drei Prozent des Strassenverkehrs aus. Ein Drittel gilt dem übrigen Strassenlärm, ein weiteres Drittel der Umsetzung von Lärmschutzmassnahmen.
Auch Autos sind gemäss dem Bundesamt für Umwelt zu laut unterwegs (siehe unten). Töffs sind gemäss dem Bundesamt aber die «lauteste Fahrzeugkategorie». Kurt Heutschi, Forscher bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa sagt: «Töffs beschleunigen vor allem auf Überlandstrassen stärker und sind tendenziell schneller unterwegs als Autos und damit auch lauter.» Töffs seien zudem bereits früh zu hören. Ihr Schall weist viele tiefe Töne auf. Diese dämpfen sich über längere Distanzen nur wenig ab. Laut TCS können Töffs bei «normaler Reisegeschwindigkeit» über 110 Dezibel erreichen. Das entspricht dem Lärm einer Kettensäge.
Laut Holger Siegel von der deutschen Umweltorganisation Bund sind zudem «über 30 Prozent der Motorräder akustisch manipuliert». Zahlen für die Schweiz gibt es nicht.
Trotz Verbot: Töffs werden mit Auspuffklappe verkauft
Viele Töffs haben Auspuffklappen eingebaut. Damit können Lenker die Lautstärke ihrer Maschine steuern. Möglich machte das ein Schlupfloch im Zulassungsverfahren: Bei der amtlichen Zulassung eines Motorradtyps messen die Prüfstellen den Lärmpegel der Maschinen nur bei einer Geschwindigkeit zwischen 50 und 80 Stundenkilometern. Hersteller bauten deshalb bis Anfang des vergangenen Jahres Auspuffklappen inklusive Software ein, die den «Prüfmodus» erkennen und den Geräuschpegel beim Test drosseln. Fährt der Töff schneller, öffnet sich die Klappe und der Auspuff wird lauter.
In der Schweiz ist der Auspuffklappen-Trick seit Anfang 2017 untersagt. Doch es gibt immer noch ein Schlupfloch: Ausgenommen sind alle fabrikneuen Töffs und Autos, die zuvor eine Typengenehmigung erhielten, sowie früher zugelassene Fahrzeuge. So wollten es vor vier Jahren im Nationalrat FDP, SVP und CVP.
Von den 20 meistverkauften Töffmodellen im letzten Jahr waren 6 mit Auspuffklappen ausgerüstet. Bei rund 9500 verkauften Töffs ist das jeder vierte. Dazu zählt laut TCS etwa der BMW R 1200 GS. Auch in Sportwagen wie Ford Mustang oder Porsche 996 sind Auspuffklappen eingebaut. Die entsprechenden Fahrzeugtypen wurden vor 2017 zugelassen. BMW Schweiz und Ford sagen, dass ihre Fahrzeuge den «gesetzlichen Anforderungen entsprechen».
Töff- und Autolärm nervt nicht nur, er kann auch krank machen. Darauf deuten Studien des Epidemiologen Martin Röösli hin. Seit 2014 läuft das Forschungsprojekt «Sirene». Fazit: In der Schweiz sind rund 15 Prozent der Bevölkerung übermässigem Verkehrslärm ausgesetzt. Der Lärm versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Er schüttet mehr Stresshormone aus und erhöht den Blutzuckerspiegel. Die Forscher gehen davon aus, dass Verkehrslärm in der Schweiz pro Jahr zu 500 Herz- und Kreislauftoten und 2500 Fällen von Diabetes führt. Plötzliche Lärmereignisse wie das Aufheulen von Töffs halten sie für besonders schädlich.
Die Polizei vernachlässigt oft den Lärmschutz
Der Obwaldner CSP-Nationalrat Karl Vogler ärgert sich, dass die Schweiz «Milliarden für den Lärmschutz ausgibt, Töff- und Autofahrer aber weiterhin unnötigen Lärm verursachen dürfen». Er fordert strengere Typenprüfverfahren, etwa Tests bei höheren Tempos. Peter Ettler von der Lärmliga sagt, Töff- und Autofahrer seien verpflichtet, «unnötigen Lärm zu vermeiden». Wer dagegen verstösst, kann von der Polizei gebüsst werden.
Die Polizei in den Kantonen Luzern, Aargau, Zürich, Obwalden, Schwyz, Uri, Bern, Thurgau, Baselland und Solothurn prüft mit Stichproben nur den Sicherheitszustand der Töffs, nicht aber ihre Lautstärke. Die Stadtpolizei Zürich verzeigte im vergangenen Jahr 234 Auto- und Töfffahrer wegen Verursachens von vermeidbarem Lärm. Die Kantonspolizei Sankt Gallen legt sich regelmässig auf die Lauer und kontrolliert Töffs. 154 Fahrer bekamen im vergangenen Jahr eine Anzeige wegen Verursachung «vermeidbaren Lärms». Zur Höhe der Bussen macht sie keine Angaben.
Der Präsident des Vereins AnStoss ist sich sicher, dass solche Kontrollen «abschrecken». Sonst würden vor seiner Haustür noch mehr laute Töffs vorbeidonnern.
Auch Sportwagen zu laut
Das Bundesamt für Umwelt hat im vergangenen Jahr die Geräuschpegel von Autos überprüft. Der Schallpegel beim Vorbeifahren beträgt im Durchschnitt knapp 71 Dezibel. Der entsprechende Grenzwert liegt bei 75 Dezibel. Laut Bundesamt sind aber «immer noch sehr laute Fahrzeuge mit Schallpegeln über 105 Dezibel auf der Strasse unterwegs». Dazu zählen viele Sportwagen.