Tabakindustrie - Chemie-Cocktail in der Zigarette
Inhalt
saldo 17/2001
24.10.2001
Zigaretten sind hochkomplexe ChemieCocktails. Erstmals in der Schweiz nahm das Institut für Rechtsmedizin in Bern die Mischung unter die Lupe. Mit erschreckendem Resultat.
Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit», das weiss inzwischen jedes Kind. Manche Raucher achten deshalb darauf, nur Zigaretten mit möglichst tiefem Teer- und Nikotingehalt zu rauchen. Doch diese beiden Angaben sind nur die Spitze des Eisberges. Zigaretten enthalten daneben unzählige giftige Substanzen, die ebenf...
Zigaretten sind hochkomplexe ChemieCocktails. Erstmals in der Schweiz nahm das Institut für Rechtsmedizin in Bern die Mischung unter die Lupe. Mit erschreckendem Resultat.
Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit», das weiss inzwischen jedes Kind. Manche Raucher achten deshalb darauf, nur Zigaretten mit möglichst tiefem Teer- und Nikotingehalt zu rauchen. Doch diese beiden Angaben sind nur die Spitze des Eisberges. Zigaretten enthalten daneben unzählige giftige Substanzen, die ebenfalls der Gesundheit schaden.
Eine komplexere Mischung als Designerdrogen
Die Konsumentenmagazine Kassensturz, A bon entendeur und saldo liessen zwölf Zigarettenmarken im Institut für Rechtsmedizin in Bern (IRM) untersuchen. Das Ergebnis ist erschreckend: Das Labor entdeckte rund 50 chemische Substanzen. 35 Chemikalien mischt die Zigarettenhersteller möglicherweise absichtlich in den Tabak. Selbst bei der beliebten Marke American Spirit, die auf der Packung mit «100 Prozent zusatzfreiem natürlichem Tabak» wirbt, hat das Institut Substanzen gefunden, die vermutlich beigemischt wurden.
Werner Bernhard, Direktor der chemischen Abteilung am IRM, ist von der hohen Zahl an Stoffen überrascht: «In Heroin beispielsweise finden wir bei Routineanalysen bis zu sieben chemische Stoffe. Nicht mal bei Designerdrogen stossen wir auf eine so hochkomplexe Chemikalienbombe.»
Besonders bedenklich findet der Chemiker die in dem Chemie-Cocktail gefundenen Amine: «Nicht alle davon kommen im natürlichen Tabak vor. Die Hersteller müssen sie in den Tabak gemischt haben. Dank ihnen wird mehr Nikotin freigesetzt und aufgenommen. Im Hirn können sie die Nikotinwirkung verstärken.»
Dank den Aminen macht die Tabakindustrie die Raucher schneller und stärker süchtig. Selbst bei so genannten leichten Zigaretten mit einem niedrigen Nikotingehalt erreichen die Hersteller mit Aminen, dass der Körper mehr Nikotin aufnimmt als bei unbehandelten Zigaretten mit einem hohen Nikotingehalt. Auch Light-Zigaretten machen deshalb schnell süchtig.
In der Chemiemixtur der Zigarettenindustrie entdeckte das Institut viele weitere, zum Teil giftige Substanzen, wie Rückstände von Herbiziden oder Lösungsmitteln. Xylol etwa, das unter anderem als fettlösendes Putzmittel gebraucht wird, fand das Labor in 8 der 12 untersuchten Zigaretten. Dieser Stoff ist laut Lebensmittelverordnung in Zigaretten verboten. Oder Pyridin, eine hochgiftige, möglicherweise zugesetzte Substanz.
Dazu Edgar Oehler, Präsident der Vereinigung der Schweizerischen Zigarettenindustrie: «Das Pyridin besteht aus zahlreichen Substanzen, die als natürliche Stoffe in der Tabakpflanze vorkommen. Die Mitglieder unserer Vereinigung - Philip Morris SA, Japan Tobacco International AG Dagmersellen, British American Tobacco Switzerland SA - bestätigen, dass sie den Zusatz Pyridin nicht als Additiv verwenden.»
Bundesamt ist alarmiert und will intervenieren
Beim Bundesamt für Gesundheit in Bern (BAG) zeigt man sich ob der erschreckenden Resultate alarmiert: «Unter den im Tabak festgestellten Zusatzstoffen befinden sich allem Anschein nach solche, die laut Verordnung nicht zugelassen sind», sagt Thomas Zeltner, Direktor des BAG. «Wir werden die Resultate bestätigen lassen und dann bei den Zigarettenherstellern intervenieren.»
Neben den illegal vorhandenen Stoffen gelangen mit dem Rauch einer Zigarette aber auch offiziell zugelassene Stoffe in den Körper, von denen man aber nicht weiss, wie sie sich im Verbrennungsprozess verändern und welchen Schaden sie im Körper anrichten.
Benzaldehyd beispielsweise, im künstlichen Bittermandelaroma enthalten, überdeckt den herben Geruch des Tabaks. Kakao soll insbesondere Jugendlichen - ähnlich wie der Zucker in Alcopops - das Rauchen versüssen. Und der beliebte Zusatz von Menthol (nicht auf den Packungen deklariert), das auf die Schleimhäute eine betäubende Wirkung hat, überdeckt die Reizung der Atemorgane und erleichtert dem Konsumenten das tiefe Inhalieren des süchtig machenden Nikotins.
Überhaupt scheint es, dass die Hersteller mit allen Mitteln, die ein chemisches Labor zur Verfügung stellt, versuchen, den Tabak zu überdecken, das Rauchen rauchfrei und die Konsumenten schneller süchtig zu machen. 600 solche Substanzen mussten die Hersteller bei Gerichtsprozessen in den USA 1998 offen legen.
Clive Bates, Direktor der britischen Organisation Action on Smoking and Health in London, findet klare Worte für die Chemie-Cocktails der Tabakhersteller: «Die Verwendung der Zusatzstoffe und die chemische Veränderung des Rauches ist ein zentraler Teil der Marketingstrategie der Zigarettenhersteller.»
«Bund muss Grenzwerte und Verbote festlegen»
Angesichts der Tendenz der Tabakhersteller, den Chemie-Cocktail in ihren Zigaretten immer noch komplexer zu machen, fordert Werner Bernhard vom IRM jetzt ein Eingreifen des Gesetzgebers. «Für einige natürlich vorkommende Stoffe und für die Zusätze brauchen wir Grenzwerte im Gesetz, andere müssen ganz klar verboten werden.»
Monika Balmer
Analyse - Äusserst komplexe Mixtur
Die Resultate des Institutes für Rechtsmedizin in Bern geben Hinweise auf den Zusatz einer Vielfalt von Substanzen, welche nicht erlaubt sind. Einige sind nicht 100-prozentig nachweisbar, was auf den Zusatz äusserst komplizierter Mischungen von Chemikalien während der Herstellung der Zigaretten hinweist. Weitere Analysen zur Bestätigung und Feststellung der Konzentration der Zusätze sind laut Untersuchungsleiter Werner Bernhard notwendig.
- Pyridin: Kann die Verfügbarkeit des Nikotins erhöhen und eine zusätzliche Wirkung auf das Zentralnervensystem ausüben. Ist laut Verordnung des Bundes nicht zugelassen. Unangenehm riechendes Lösungsmittel, wirkt haut- und schleimhautreizend.
- Xylol: Entfettendes Lösungsmittel. Steht im Verdacht, Krebs zu erregen.
- Benzaldehyd: Künstliches Bittermandelaroma, wie es in Parfüms verwendet wird.
- Menthol: Alkohol, der die Wahrnehmung der Schleimhautreizung dämpft.
- Phenolderivate: Zusatzstoffe, die dafür sorgen, dass Plastik nicht spröde wird.