Der Bundesrat setzt Druck auf: Seit Mitte September gilt die Zertifikatspflicht für Gastro-, Kultur- und Freizeitbetriebe. Covid-Tests sind inzwischen wieder kostenpflichtig. Und mit einer nationalen Impfwoche vom 8. bis zum 14. November soll die Impfrate nochmals gesteigert werden. Kostenpunkt: knapp 100 Millionen Franken.
Der Bundesrat verlangt zudem, dass die Kantonsbehörden Ungeimpfte persönlich beraten lassen, um ihnen eine allfällige Angst vor den Nebenwirkungen der Corona-Impfung zu nehmen. Grundlage sind Daten der Arzneimittelbehörde Swissmedic. Sie registrierte bis zum 15. Oktober 8757 Fälle von unerwünschten Impferscheinungen. Zwei Drittel davon (5779) stuft Swissmedic als «nicht schwerwiegend» ein, einen Drittel (2978) als «schwerwiegend». Als schwerwiegend gelten etwa Atemnot und schwere allergische Reaktionen.
Swissmedic begnügt sich damit, auf Meldungen zu warten
Bislang wurden in der Schweiz knapp elf Millionen Impfdosen verabreicht. Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit stehen rund 150 Todesfälle in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung. Die europäische Arzneimittelbehörde registrierte bislang 5113 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Pfizer/Biontech-Impfstoff sowie 495 Todesopfer im Zusammenhang mit dem Moderna-Vakzin bei 420 Millionen respektive 60 Millionen Impfungen.
Swissmedic erfasst die Nebenwirkungen nicht systematisch. Zwar hält die Behörde «rasche Nebenwirkungsmeldungen» für «unerlässlich». Doch sie fordert weder von Ärzten noch von Spitälern regelmässige Berichte über Impfnebenwirkungen an. Sie begnügt sich damit, auf Meldungen aus Arztpraxen und Kliniken zu warten. Wie viele Hausärzte, private und öffentliche Spitäler Nebenwirkungen der Corona-Impfung melden, kann Swissmedic saldo nicht sagen. Zum Vergleich: Das Bundesamt für Gesundheit publiziert täglich Zahlen der in der Schweiz positiv Getesteten sowie der «mit oder wegen Corona» Hospitalisierten und Verstorbenen.
Die Meldungen an Swissmedic erfolgen nicht nach einheitlichen Kriterien. Mehrere Hausärzte erklärten saldo: Selbst Nebenwirkungen, die über die bekannten Impfsymptome wie Schüttelfrost oder Fieber hinausgingen, würden in der Regel nicht gemeldet.
Ärzte beklagen Zeitmangel und fehlende Instruktion
«Ich habe keine Zeit dafür und weiss auch nicht, wo und wie genau ich diese Nebenwirkungen melden muss», sagt etwa ein Hausarzt aus dem Baselbiet. Dabei ist die Regelung im Heilmittelgesetz klar: Ärzte müssen verdächtige Fälle rapportieren, die auf schwere oder bisher nicht bekannte unerwünschte Wirkungen der Impfung hindeuten.
Swissmedic prüft gemäss eigenen Angaben nicht, ob das Gesetz eingehalten wird. Sie kontrolliert lediglich, ob den Arztmeldungen Laborbefunde beigelegt sind, und fordert diese ein, falls sie fehlen. Zeigen die Befunde, dass die Nebenwirkung neu oder schwerwiegend ist, erstattet Swissmedic der Weltgesundheitsorganisation und den Herstellern Meldung. Mehr macht Swissmedic nicht. Grund: Es fehlt an Personal. Die Abteilung für Arzneimittelsicherheit zählt gerade einmal 26 Leute – gleich viele wie vor der Pandemie.
Andere Länder fordern Informationen aktiver ein
Die Zahl der bekannten schweren Fälle läge wohl deutlich höher, würde Swissmedic von den Ärzten Berichte zu Nebenwirkungen systematisch einfordern. Das legt eine Analyse von Infosperber.ch nahe. Das Nachrichtenportal verglich zwei Studien aus den USA zu Pockenimpfungen. Die eine Studie von 2015 registrierte bei 150 von 100 000 Geimpften eine Entzündung am Herzen. Die Geimpften waren eigens für Nachuntersuchungen aufgeboten worden. Eine frühere Studie, die auf einem passiven Meldesystem basierte, erfasste nur bei 16 von 100 000 Geimpften eine Herzentzündung – neun Mal weniger.
Einige europäische Gesundheitsbehörden sammeln aussagekräftige Informationen zu Nebenwirkungen schneller als die Schweiz und können deshalb rascher eingreifen, wenn sich schwerwiegende Meldungen bestätigen. So stoppten etwa Finnland und Schweden Anfang Oktober die Moderna-Impfungen für Männer unter 30 Jahren. Grund: Die Gesundheitsbehörden hatten bei den Geimpften gehäuft Entzündungen am Herzen festgestellt. Aus demselben Grund verbot auch Dänemark die Impfungen für unter 18-Jährige. Swissmedic dagegen stellt einen entsprechenden Bericht für November in Aussicht.
Der Bundesrat ist mit der Rolle von Swissmedic bei der Erfassung der Impfnebenwirkungen zufrieden. Das System funktioniere gut, antwortete Gesundheitsminister Alain Berset im September auf eine Frage der Obwaldner SVP-Vertreterin Monika Rüegger im Nationalrat. Und Swissmedic verweist darauf, dass ja auch die Schweiz eine mögliche Impfnebenwirkung in die internationale Debatte habe einbringen können: das Risiko einer Gürtelrose.
Rechtsstreit zwischen «Gesundheitstipp» und Swissmedic
Swissmedic hat dem «Gesundheitstipp» unter Androhung einer Busse von 50 000 Franken untersagt, einen Artikel zu schweren Nebenwirkungen eines Medikaments gegen multiple Sklerose weiterhin öffentlich zugänglich zu machen.
Die Heilmittelbehörde will kritische Vergleiche über rezeptpflichtige Medikamente verhindern. Begründung: Es handle sich um «verbotene Werbung», wenn manche Medikamente besser beurteilt würden als andere. Der «Gesundheitstipp» stützte sich bei der Beurteilung auf internationale Studien und Fachleute.
Die Redaktion des «Gesundheitstipp» betrachtet die Verfügung von Swissmedic als Angriff auf die Pressefreiheit und legte beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein. Die Zeitschrift gehört wie saldo zum Verlag Konsumenteninfo.