Strom - Atomkraft im Gegenwind
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saldo 10/2002
22.05.2002
Unveröffentlichte Studien zeigen: Importierte Windenergie kann Atomstrom ersetzen. Und der Strom wird dabei noch günstiger.
Die Befürworter der Atomkraft warnen seit Jahren vor den angeblichen Folgen eines Atom-Ausstiegs: «Es ist unrealistisch, Atomenergie durch Wind zu ersetzen. Der Strompreis würde steigen und die Versorgungssicherheit sinken.» So Hansjörg Ruh von der schweizerischen Vereinigung für Atomenergie.
Zwei Studien im Auftrag des Bundesamtes für...
Unveröffentlichte Studien zeigen: Importierte Windenergie kann Atomstrom ersetzen. Und der Strom wird dabei noch günstiger.
Die Befürworter der Atomkraft warnen seit Jahren vor den angeblichen Folgen eines Atom-Ausstiegs: «Es ist unrealistisch, Atomenergie durch Wind zu ersetzen. Der Strompreis würde steigen und die Versorgungssicherheit sinken.» So Hansjörg Ruh von der schweizerischen Vereinigung für Atomenergie.
Zwei Studien im Auftrag des Bundesamtes für Energie (BFE) beweisen nun das Gegenteil. Die unabhängigen Forschungs- und Beratungsbüros Prognos und Infras kamen beide zum selben Schluss: Aus Europa importierter Windstrom kann die Schweizer Atomkraftwerke nach 40 Jahren Laufzeit ersetzen. Das heisst: Beznau könnte im Jahr 2011 stillgelegt, Mühleberg 2012, Gösgen 2019 und Leibstadt 2024 abgestellt werden. Heute decken sie rund 40 Prozent des inländischen Stromverbrauchs.
Das Licht ginge ohne Atomkraft nicht aus
Konrad Haker, Autor der Prognos-Studie, bestätigt: «Das Potenzial an Windenergie in Europa reicht aus, um einen Ausstieg aus der Kernenergie durch Import von Windstrom zu kompensieren.» Stefan Kessler und Rolf Iten kommen in der Infras-Studie zum Schluss: Die Versorgung mit Strom sei dadurch nicht gefährdet. Beim Abschalten der vier Atomkraftwerke ginge also in der Schweiz nicht das Licht aus.
«Die Ergebnisse dieser Studien sind sensationell», freut sich der Basler SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner. «Sie zeigen, dass Windstrom eine echte Alternative ist. Die Behauptung, der Ausstieg aus der Atomenergie müsse mit schmutzigem Importstrom kompensiert werden, gehört damit ins Reich der Märchen.»
Billiger Windstrom: Ein «historischer Durchbruch»
Realität hingegen ist: Bereits heute wächst der Anteil an Windenergie schneller als derjenige anderer Stromquellen in Europa. Und der Transport von der Nordsee in die Schweiz ist laut Fachleuten technisch kein Problem. Das BFE hält in seinem Schlussbericht fest: «Neue Hochspannungsleitungen für Windstromimporte wären nicht nötig.»
Wahrscheinlich wäre der Windstrom sogar günstiger als herkömmlicher Atomstrom. Infras schätzt die Kosten einer Kilowattstunde (kWh) importierten Windstromes auf 7,7 bis 8,9 Rappen, Prognos geht von 8,5 bis 12 Rappen aus. Energiebehörden bilanzieren Atomstrom heute mit rund 11 Rappen pro kWh.
Rudolf Rechsteiner: «Die neuen, sauberen Techniken sind billiger als die alten. Diese Erkenntnis, vom Bundesamt für Energie erstmals dokumentiert, ist ein historischer Durchbruch.»
Die Behörde wird die Entwicklung genau beobachten, wie Pascal Previdoli vom BFE erklärt. «Noch bestehen einige Unsicherheiten über die Kostenentwicklung und die Funktionssicherheit der Offshore-Windanlagen.» Das Ausland indes handelt: Die irische Regierung beschloss im Februar 2002 den Bau einer Windkraftanlage. Sie liefert Strom für 500 000 Haushalte.
Marc Meschenmoser
Windenergie-Anlagen - Europa macht vorwärts
W indenergie boomt: Allein im letzten Jahr nahm die Leistung neu installierter Anlagen in der EU um 4470 Megawatt zu. Das entspricht fast fünfmal der Leistung des Atomkraftwerks Gösgen.
Vor allem Dänemark, Deutschland, Spanien und Grossbritannien setzen auf die saubere Windtechnologie. Vorteile: Geringe Unterhaltskosten, keine Abfälle oder Abgase. Damit das Landschaftsbild nicht leidet, werden viele Anlagen künftig 20 Kilometer vor der Küste ins Meer gebaut.
Die erste solcher Offshore-Windanlagen in Horns Rev, Nordsee, liefert ab diesem Sommer ökologischen Strom. Bereits heute decken Wind und Sonne über 20 Prozent des dänischen Verbrauchs. Zum Vergleich: In der Schweiz soll bis 2010 nur 1 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbarer Energie stammen. Rudolf Rechsteiner: «Ein Promille der Nordsee bebaut mit Windanlagen reicht aus, um alle Schweizer Atomkraftwerke zu ersetzen.»