Die Stimmung unter den Nachbarn ist eisig. Sie treffen mit ihren Anwälten kurz vor Beginn der Verhandlung beim Bezirksgericht Hinwil im Zürcher Oberland ein.
Vor dem Einzelrichter fordert der Anwalt des Klägers: Das benachbarte Ehepaar habe die Zufahrt so frei zu halten, dass sein Mandant mit dem Auto problemlos zu seinem Haus fahren könne. Er verweist auf das Grundbuch. Dort sei auf der ganzen Fläche der Zufahrtsstrasse ein Wegrecht eingetragen. Das Auto der Nachbarn versperre aber die Zufahrt, sodass sein Klient nur mit Mühe daran vorbeikomme. Das Ehepaar habe auch schon eine Holzbeige und ein Segelschiff auf der Zufahrt gelagert. Im Winter würden die Nachbarn die Zufahrt mit Schnee versperren. Dies alles belegt der Anwalt mit Fotos.
Der Richter hatte sich die Zufahrtsstrasse schon vor der Verhandlung persönlich angesehen. Er setzte sich selbst ans Steuer, um zu testen, ob er am Auto der Nachbarn vorbeikäme. Es ging. «Sie haben es zwar geschafft, Herr Richter», sagt der Anwalt des Klägers, «aber Sie sind offensichtlich auch ein geübter Fahrer!»
Nun kommt der Anwalt des beklagten Ehepaars zu Wort. Mit grossen Gesten stellt er fest: «Wir haben heute ein Exempel von schlechter Nachbarschaft.» Die Klage sei abzuweisen: Ein Wegrecht gebe nicht ein Recht auf «bequemes Durchfahren». Der Nachbar könne nicht verlangen, dass das Ehepaar keinerlei Gegenstände auf dem Weg abstelle.
Der Richter empfiehlt den Parteien, sich zu einigen: «Alles andere wird teuer!» Der Kläger macht den Vorschlag, die Nachbarn könnten einen Teil der Hecke schneiden und so mehr Platz schaffen – dann komme er mit seinem Wagen durch. «Diesen Vorschlag finde ich sympathisch», sagt der Richter.
Nach acht Stunden muss die Verhandlung vertagt werden
Doch das eingeklagte Ehepaar ist wenig begeistert: «Wir sind eine vierköpfige Familie und brauchen den Platz als Manövrierfläche für Autos und Velos», jammert der Ehemann. Und der Anwalt des Ehepaars wirft ein, wer einen drei Meter breiten Weg nicht befahren könne, habe ein Problem mit dem Strassenverkehrsgesetz. Das bringt den Klägeranwalt in Rage: «Ich hatte selten einen Gegenanwalt, der mir so auf den Keks ging!» Der Richter ermahnt die beiden: «Wenn Sie sich jetzt gegenseitig ‹Schlötterlig› anhängen wollen, ist das Ihr Problem. Ich halte es für einen Kindergarten.»
Die Verhandlung hat um 14 Uhr begonnen, inzwischen ist es Viertel vor sieben. Der Richter meint: «Ich bleibe so lange wie nötig. Ich finde, Nachbarschaftsstreitigkeiten müssen mit einem Vergleich gelöst werden.» Die Parteien streiten weiter. Um 20 Uhr erklärt der Richter die Vergleichsverhandlungen für gescheitert.
Die Anwälte kommen nochmals zu Wort. Während des Vortrags des Klägeranwalts ziehen die Ehegatten fast gleichzeitig die Handys hervor. «Die Kinder haben gefragt, wo wir bleiben», entschuldigt sich der Ehemann. Erst gegen 22 Uhr schliesst der Richter die Verhandlung.
Das Gericht gibt dem Kläger schliesslich auf der ganzen Linie recht
Einige Monate später findet die Schlussverhandlung statt. Das Urteil erfolgt schriftlich – mehr als zwei Jahre nach Einreichung der Klage. Der Richter findet deutliche Worte: Das Nachbarehepaar dürfe weder das Auto noch andere Gegenstände auf der Einfahrt abstellen und auch keinen Schnee dort deponieren. Die gesamte Fläche sei frei zu halten.
Die Beklagten müssen dem Hauseigentümer eine Entschädigung für die Kosten seines Anwalts von 5500 Franken zahlen und die Gerichtsgebühr von 4718 Franken übernehmen.
Wegrecht
Nicht alle Grundstücke liegen direkt an einer Strasse. Manchmal führt der Zufahrtsweg über eine fremde Liegenschaft. Für diese Fälle gibt es Wegrechte. Wegrechte werden im Grundbuch eingetragen – sowohl bei den belasteten wie den berechtigten Liegenschaften.
Ein Wegrecht über ein fremdes Grundstück gilt nicht nur für den benachbarten Eigentümer selbst, sondern auch für Gäste und Zulieferer.
Inhalt des Wegrechts ist das Passieren der benachbarten Liegenschaft. Es gibt aber keinen Anspruch darauf, auf der Zufahrtsstrasse auch Autos zu parkieren. Wichtig für die Berechtigten: Ein Wegrecht ist laut Bundesgericht «in möglichst schonender Weise» auszuüben.