Am Regionalgericht Bern-Mittelland in der Stadt Bern geht es an diesem sonnigen Donnerstag im Oktober um den letzten Willen einer Bernerin. Sie starb 70-jährig. Die letzten fünf Jahre ihres Lebens hatte sie in ihrer Wohnung mit einem zwanzig Jahre jüngeren Mann zusammengewohnt.
Diesen Mann haben Bruder und Schwester der Verstorbenen eingeklagt. Sie wollen ein Testament für ungültig erklären lassen, das dem Freund der Erblasserin 400 000 Franken vermacht.
Im Gerichtssaal erteilt die Einzelrichterin zuerst dem Anwalt der Geschwister das Wort. Er begründet die Klage: Das Erbschaftsamt habe den Bruder und die Schwester über insgesamt vier verschiedene Testamente informiert. Drei davon waren maschinengeschrieben und mit handschriftlichen Notizen versehen. Ein einziges Testament ist von Hand geschrieben, datiert und unterschrieben. Es sieht zugunsten des Freundes der Verstorbenen nur ein Vermächtnis von 10 000 Franken vor. Die mit Maschine geschriebenen Dokumente hatte der Freund der Verstorbenen eingereicht, das handschriftliche Testament fanden der Bruder der Verstorbenen und ihr Freund in der Wohnung der Frau.
Wohnpartner fordert Geld für Betreuung der Frau
Auf einem der drei maschinengeschriebenen Entwürfe war das Vermächtnis von 10 000 Franken für den Freund durchgestrichen und von Hand durch 400 000 Franken ersetzt worden. Laut dem Anwalt der Kläger ist unklar, wer das gemacht hat. Das Schreiben sei weder datiert noch unterzeichnet. Und deshalb ungültig. «Gültig ist nur das handschriftliche Testament.» Die Erblasserin habe sich damals von einem Juristen beraten lassen. «Sie wusste, wie ein gültiges Testament aussehen muss.»
Der Beklagte verlangt für den Fall, dass das Testament ungültig ist, vom Geschwisterpaar Geld für die Betreuung der zwanzig Jahre älteren Bernerin. Das hielt er vor dem Prozess in seiner schriftlichen Klageantwort ans Gericht fest. Dafür hat der Anwalt der Geschwister kein Gehör: «Die Frau war topfit und keineswegs pflegebedürftig.» Der Beklagte mache geltend, er habe für sie gekocht, gewaschen und geputzt. «Das gehört aber zur normalen Haushaltsführung.» Die Verstorbene habe ihn vielmehr finanziell unterstützt und etwa Rechnungen der Krankenkasse, von Versicherungen und für Ferien übernommen. «Der Beklagte liess sich von ihr aushalten und hat bis auf Gelegenheitsjobs nicht gearbeitet. Allfällige Betreuungsleistungen wären somit längst abgegolten.»
Parteien einigen sich am Schluss auf einen Kompromiss
Der Anwalt des Beklagten stellt die Beziehung der beiden in einem anderen Licht dar. Die beiden seien kein Paar gewesen. Die Frau habe betreut werden müssen.
Die Kläger würden dem Beklagten unterstellen, ein Erbschleicher zu sein, der sich habe aushalten lassen. Oder dass er den Betrag gar selber hingeschrieben habe. «Ich beantrage deshalb ein graphologisches Gutachten, um nachzuweisen, dass die Verstorbene den Betrag hingeschrieben hat.» Beim umstrittenen Dokument handle es sich nicht bloss um einen Testamentsentwurf. «Ich gehe davon aus, dass ein Testierwille bestanden hat», sagt er. Das heisst: Die Frau habe ein Testament schreiben wollen. Das Gericht müsse nun entscheiden, ob die gesetzlichen Formerfordernisse erfüllt seien.
Am Schluss der Gerichtsverhandlung fragt die Einzelrichterin die Parteien, ob sie zu Vergleichsgesprächen bereit seien. Beide Anwälte bejahen. Schliesslich einigen sich die Parteien auf einen Kompromiss: Der Wohnpartner der Verstorbenen erhält 110 000 Franken. Jede Partei übernimmt die eigenen Anwaltskosten. Und die 6000 Franken Gerichtskosten teilen sie hälftig.