Manchmal sind es nur wenige Zentimeter, die Nachbarn zu Prozessparteien machen. So etwa in einer idyllischen Gemeinde im Zürcher Unterland. Dort ragt in einer Einfamilienhaussiedlung die Stützmauer eines Grundeigentümers 6 bis 18 Zentimeter auf das Nachbargrundstück hinüber. Das von der Grenzverletzung betroffene Ehepaar will genau an dieser Stelle im Garten einen Brunnen bauen. Deshalb fordert es von den Nachbarn den Abbruch der Mauer. Doch diese weigern sich. Der Streit endet schliesslich vor dem Bezirksgericht Bülach ZH.
Mauer über 20 Jahre lang «gutmütig geduldet»
Das beklagte Paar hatte sein Haus in den frühen 1990er-Jahren gekauft. 2001 erwarben die Kläger das Nachbargrundstück. Über die Stützmauer und die «Grenzüberschreitung» seien sie gemäss dem Anwalt der Beklagten zu diesem Zeitpunkt im Bild gewesen – hätten aber nie reklamiert und die Mauer somit «gutmütig geduldet».
Einige Jahre später wollten die Kläger dann aber ein grösseres Gartenhäuschen errichten. Dieses wäre zu nahe an der Grenze des Grundstücks der Beklagten gebaut worden – eine ähnliche Streitsituation wie jetzt mit der Mauer, aber mit umgekehrten Vorzeichen. Die heutigen Beklagten intervenierten deshalb bei der Gemeinde und forderten ein nachträgliches Baubewilligungsverfahren für das Gartenhäuschen. Der Schuss ging nach hinten los: Die Baubewilligung für das Gartenhäuschen wurde zwar nicht erteilt – doch der Bausekretär der Gemeinde wies die Parteien bei dieser Gelegenheit auf die Grenzverletzung durch die Stützmauer hin.
Überbaurecht oder Abbruch – da sind sich die Parteien uneins
Beim aktuellen Brunnenbauprojekt handle es sich um eine Alibiübung und Racheaktion der Kläger, weil seine Mandanten einst ihre Gartenhauspläne durchkreuzt hätten, sagt der Anwalt der Beklagten. «Erst nachdem der Bausekretär interveniert hatte, also viele Jahre nachdem die Kläger das Grundstück gekauft hatten, stören sie sich plötzlich an der Mauer.» Ihre Klage komme zu spät und sei rechtsmissbräuchlich. Aus diesem Grund sei sie abzuweisen.
Zusätzlich verlangt der Anwalt der Beklagten vom Richter, seinen Mandanten ein sogenanntes Überbaurecht zu gewähren. Sie seien auch bereit, den Teil des nachbarschaftlichen Grundstücks, der von der Mauer überlappt wird, für 2000 Franken zu erwerben. Dabei handelt es sich um einen Quadratmeter Land.
Die Kläger bestreiten, die Mauer je geduldet zu haben. Sie machen eine Verletzung ihrer Eigentumsrechte geltend und verlangen, dass sie umgehend abgebrochen wird. Die Kosten dafür beziffern sie auf 15 000 Franken.
Der Richter will sich selbst ein Bild von der Situation vor Ort machen. Im Anschluss an die Verhandlung fahren Richter, Gerichtsschreiber sowie die beiden Parteien mit ihren Anwälten in die Gemeinde, in der sich die Nachbargrundstücke befinden. Es ist mucksmäuschenstill an diesem Nachmittag. Ein starker Wind weht durch die menschenleere Einfamilienhaussiedlung. Richter und Gerichtsschreiber laufen den kurzgeschnittenen Rasen ab und machen mit ihren Handys Fotos von der Mauer.
Kompromiss: Abbruch, aber Beklagte dürfen sich Zeit lassen
Es folgen Vergleichsgespräche im Haus des klagenden Ehepaars. Der Richter erklärt, gegen die Kläger spreche, dass die Grenzverletzung durch die Mauer schon lange bekannt gewesen sei und sie ihr Recht erst so spät geltend gemacht hätten. Es sei jedoch auch nicht korrekt, den Beklagten deswegen ein Überbaurecht einzuräumen.
Am Ende einigen sich die Nachbarn auf einen Kompromiss: Die Beklagten verpflichten sich, die Mauer abzubrechen. Sie dürfen sich dafür aber viereinhalb Jahre Zeit lassen. Die Gerichtskosten in der Höhe von mehreren Hundert Franken werden hälftig geteilt und jede Partei bezahlt die eigenen Anwaltskosten selbst.
Störende Bauprojekte der Nachbarn
Die kantonalen Baugesetze schreiben die Abstände vor, die ein Gebäude zum Nachbargrundstück einhalten muss. Wer mit einem Projekt des Nachbarn nicht einverstanden ist, muss spätestens im Baubewilligungsverfahren Einsprache erheben. Weicht ein Bauherr während des Baus vom Projekt ab, kann man das bei der Gemeinde anzeigen. Wer erst nach Fertigstellung bemerkt, dass die Abstände nicht eingehalten sind, kann vor dem Zivilgericht klagen. Ein Abbruch nach dem Bau ist oft nicht verhältnismässig. Der Nachbar kann aber eine Entschädigung verlangen.