Die Gänge im Bezirksgericht Horgen ZH sind gespenstisch leer: In den Tagen des Corona-Lockdowns wirkt das Gebäude wie ausgestorben. Zwei Frauen warten vor dem Gerichtssaal. Die 70-jährige Klägerin liest gemütlich Zeitung, während die Beklagte (40) nervös ihre Unterlagen durchgeht.
Ein paar Minuten später eröffnet der Einzelrichter die Verhandlung. Die Klägerin begründet ihre Forderung von 685 Franken. Ihre Hündin Lilli sei von Bonnie, der Hündin der Beklagten, schwer verletzt worden. «Ich musste einen Tierarzt aufsuchen, der die tiefe Wunde an der rechten Flanke nähte. Das kostete mich 685 Franken.»
Der Vorfall ereignete sich im Juni 2020. Die Frau erzählt: «Auf einem Spaziergang mit Lilli kam plötzlich Bonnie angerannt und attackierte meinen kleinen Mischling.» Danach sei der ungarische Vizsla wieder davongerannt. «Die Attacke war sicher nicht bösartig gemeint», vermutet die Klägerin. Ihr Hund habe sich jedoch beim Angriff eine tiefe Wunde zugezogen. Nach dem Vorfall sei Lilli einen Monat lang am Boden zerstört gewesen. «Sie bekam Fieber, frass nichts mehr und wollte nicht mehr auf der Route spazieren gehen, auf welcher sie angegriffen worden war.» Heute gehe es ihr zum Glück wieder besser.
Haftpflichtversicherung lehnte Zahlung ab
Die Beklagte bestätigt diese Schilderung nur teilweise: Ihre Hündin sei tatsächlich auf die Hündin der Klägerin zugerannt. «Zu einer Berührung kam es aber nicht.» Sie habe ihre Bonnie nämlich ablenken können, sodass sie zu ihr zurückgelaufen sei. Die dreijährige Jagdhündin sei zwar spielfreudig, aber sehr gut erzogen und nicht aggressiv.
Wäre Lilli verwundet worden, hätte sie sicherlich eine Reaktion gezeigt, meint die Beklagte. «Doch nichts dergleichen war zu vernehmen: weder ein Jaulen noch sonst etwas.» Sie habe den Fall trotzdem ihrer Privathaftpflichtversicherung gemeldet, um der Klägerin entgegenzukommen. «Die Versicherung teilte mir mit, es könne nicht belegt werden, dass Lillis Verletzung tatsächlich vom Vorfall mit Bonnie stamme. Sie könne die Kosten daher nicht übernehmen.
Die Klägerin müsste den Angriff mit Verletzungsfolge beweisen
Die Tatsache, dass die Beklagte ihre Privathaftpflichtversicherung kontaktiert habe, zeige doch klar, dass ihr Hund vom Hund der Beklagten verletzt worden sei, erwidert Lillis Besitzerin. «Wenn die Versicherung nicht zahlt, muss die Beklagte den Schaden halt selbst übernehmen.»
Nach einer kurzen Pause legt der Richter den Parteien seine Sicht der Dinge dar. «Offen ist, ob tatsächlich eine Attacke stattfand – und ob Lilli dabei eine Wunde erlitt.» Die Klägerin müsse beweisen, dass ihr Hund durch den Hund der Beklagten verletzt wurde. Die Erfolgschancen dafür schätze er auf 50 Prozent. Aus diesem Grund schlage er vor, dass die Beklagte der Klägerin die Hälfte des eingeforderten Betrags bezahle und die Parteien sich die Kosten für den Friedensrichter teilten. Damit sind die Klägerin und die Beklagte nicht einverstanden.
Nach einer kurzen Besprechung mit der Klägerin unter vier Augen gibt sich diese schliesslich mit der Summe von 500 Franken zufrieden. Nach kurzem Hin und Her lenkt auch die Beklagte ein. Die Friedensrichterkosten von 250 Franken werden unter den beiden Parteien aufgeteilt.
Hundebiss: Besitzer haften für ihr Tier
Gemäss Gesetz haftet der Halter eines Tieres für den Schaden, den dieses anrichtet. Halter ist, wer das Tier in seiner Obhut hat und es deshalb überwachen und kontrollieren muss. Hundehalter haften auch ohne Verschulden für jeden von ihrem Tier verursachten Schaden. Ausnahme: Der Halter kann beweisen, dass er das Tier sorgfältig hielt und beaufsichtigte. Einige Kantone, wie etwa der Kanton Zürich, verlangen von Hundehaltern, dass sie eine Haftpflichtversicherung abschliessen. In einer solchen ist die Tierhalterhaftpflicht eingeschlossen.