Die Schweizer Spitäler finanzieren sich seit drei Jahren über das Fallpauschalensystem. Dabei wird jeder Spitalaufenthalt anhand von bestimmten Kriterien einer Fallgruppe zugeordnet und pauschal vergütet. Das Ziel: Die Spitäler sollen effizienter und kostengünstiger werden, die Behandlungsqualität steigen.
Doch Schweizer Spitalärzte stellen der neuen Spitalfinanzierung ein schlechtes Zeugnis aus. Das geht aus einer kürzlich publizierten Studie des Instituts für Biomedizinische Ethik der Universität Zürich hervor. 2013 sandte das Institut 818 zufällig ausgewählten Spitalärzten in der ganzen Schweiz einen Fragebogen zu. Es wollte wissen, wie sich die Fallpauschalen auswirken. 382 Ärzte nahmen an der Befragung teil. Das entspricht einem Rücklauf von 47 Prozent. Die Resultate:
- 29 Prozent der Ärzte gaben an, dass sich ihre Arbeitszufriedenheit verschlechtert habe.
- Ein Viertel der Ärzte hat seit der Einführung der Fallpauschalen weniger Zeit für Gespräche mit Patienten und Angehörigen.
- Ebenfalls fast ein Viertel der Ärzte gibt an, die patientenorientierte Versorgung habe sich verschlechtert. Das heisst: Diese Ärzte haben weniger Zeit, auf die Bedürfnisse der Patienten einzugehen.
- Die Belastung durch administrative Tätigkeiten nahm bei 52 Prozent der Befragten zu. 36 Prozent der Ärzte klagen über mehr Überstunden.
Günstigere statt beste Behandlungsmethode
Die Umfrageergebnisse weisen zudem auf Fehlentwicklungen im Klinikalltag hin – als Folge des wirtschaftlichen Drucks:
- 64 Prozent der Ärzte kamen schon in die Situation, dass aus Kostengründen nicht die bestmögliche Behandlung durchgeführt wurde – sondern eine günstigere, weniger wirksame.
- Ebenfalls 64 Prozent geben an, dass regelmässig Patienten zu früh entlassen würden.
- 60 Prozent haben die Erfahrung gemacht, dass ihr Spital die medizinische Behandlung auf zwei Aufenthalte aufteilt, obwohl einer ausreichend wäre. So kann das Spital die Fallpauschale zweimal berechnen.
- 48 Prozent der Ärzte berichten von Überbehandlungen. Das heisst: Das Spital führt medizinisch nicht nötige Behandlungen durch. Grund: Das bringt Geld.
«Subjektive Wahrnehmung»
Bernhard Wegmüller, Direktor des Spitalverbands H+, relativiert: «Bei dieser Studie handelt es sich um eine Befragung der subjektiven Wahrnehmung der Ärzte.» Die Daten des Bundesamts für Statistik würden ein anderes Bild zeigen: So hätten die Fallzahlen zwischen 2011 und 2013 weniger stark zugenommen als die Bevölkerungsenwicklung. Das widerspreche der Behauptung, dass Spitäler systematisch mehr Fälle generierten. Und die Abnahme der Pflegetage sei eine Folge des medizinischen Fortschritts und nicht von zu frühen Entlassungen der Patienten.
Wegmüller räumt aber ein, dass es sich bei der Abrechnung mit Fallpauschalen um ein «lernendes System» handle, welches alljährlich überprüft und angepasst werden müsse.
Spitalkosten: Kein Spareffekt sichtbar – im Gegenteil
«Die neue Spitalfinanzierung dürfte den Kostenanstieg im Gesundheitswesen eindämmen», warb 2007 der damalige Bundesrat Pascal Couchepin im Parlament für die Einführung der Fallpauschalen. Und der Zücher FDP-Ständerat Felix Gutzwiller bezeichnete die pauschalen Abgeltungen in den Spitälern als «wichtigen Schritt», um die Gesundheitskosten zu senken.
Bis jetzt ist das Gegenteil der Fall: Nach Einführung der Fallpauschalen sind die Spitalkosten 2012 gemäss Bundesamt für Statistik um 2,3 Milliarden auf 25,5 Milliarden Franken angestiegen. Das ist ein Anstieg von 9,8 Prozent. In den Vorjahren bewegte sich die Zunahme jeweils zwischen 3,4 und 4,9 Prozent. Die Zahlen für das Jahr 2013 werden erst im Mai veröffentlicht.
Die Sasis AG, ein Dienstleistungsunternehmen der Krankenkassen, erfasst die Bruttoleistungen der Spitäler, die den Krankenkassen in Rechnung gestellt werden. In dieser Rechnung fehlen alle ausserhalb des Krankenversicherungsgesetzes abgerechneten Leistungen der Spitäler. Darunter fallen etwa die Kostenanteile für Halbprivat- und Privatpatienten sowie Unfallversicherungs-Patienten. Die Sasis weist für 2010 und 2011 – also die Jahre vor Einführung der Fallpauschalen – eine Zunahme der Spitalkosten von 3,9 und 3,8 Prozent aus. Nach der Einführung stiegen die Kosten deutlich stärker: Für 2012 liegt der Anstieg bei 5,1 und für 2013 sogar bei 11,8 Prozent.