Junge Leute gehen in den Fussgängerzonen oder an Bahnhöfen auf Spendenjagd. Ihre Jacken tragen die Logos von Hilfswerken wie Amnesty International, Rotes Kreuz, Vier Pfoten oder Konsumentenschutz Schweiz. Doch es sind Angestellte der Corris AG, «Dialoger» genannt. Ihr Auftrag: Sie sollen Passanten auf der Strasse zum Abschluss von Spendeverträgen überreden. Den Spendern wird dann per Lastschriftverfahren in regelmässigen Abständen automatisch Geld vom Konto abgezogen. Anders als bei Bettelbriefen, welche zu Hause im Briefkasten landen, bleibt den Passanten am Corris-Stand kaum Zeit, über das finanzielle Engagement nachzudenken.
Seit 2019 arbeitet Corris mit einem elektronischen Zahlungssystem. Mit der Bank-, Post- oder Kreditkarte können Passanten direkt am Corris-Stand die erste Spende überweisen. Unterschreibt man gleichzeitig einen Spendenvertrag, wird automatisch das Lastschriftverfahren ausgelöst.
Stiftung für Konsumentenschutz seit zehn Jahren Corris-Kundin
Die Stiftung für Konsumentenschutz warnt schon seit Jahren vor den Tricks der Spendensammler. 2019 zum Beispiel gab die Chefin Sara Stalder im «Bund» verschiedene Tipps, wie man sich gegen die Corris-Dialoger wehren kann. Auf keinen Fall solle man unter Druck etwas unterschreiben, riet sie, sondern sich für die Entscheidung Zeit lassen.
Seit 2011 nimmt die Stiftung für Konsumentenschutz die Dienste von Corris selbst in Anspruch. Spendensammeln sei nötig, weil die Bundessubventionen nur 15 Prozent der Stiftungseinnahmen ausmachen würden, erklärt Geschäftsführerin Stalder. Die Stiftung für Konsumentenschutz hat ein Jahresbudget von rund zwei Millionen Franken. Wie die Hilfswerke nutzt sie die Corris-Standaktionen, um langjährige Förderer zu gewinnen. Diese Aktionen machen laut Stalder rund 12 Prozent ihrer Spendenerträge aus.
Für jeden Dauerspender gibt es einen Bonus
Corris-Dialoger haben kein Interesse daran, möglichen Spendern nur Unterlagen über eine Organisation mitzugeben. Sie wollen unbedingt an Ort und Stelle den Dauerspendevertrag abschliessen. Grund: Sie erhalten zusätzlich zu ihren 200 Franken Tageslohn pro akquirierten Dauerspender einen Bonus. Und: Wer zu wenig Abschlüsse macht, verliert den Job, wie Branchenkenner und ehemalige Mitarbeiter gegenüber saldo erklären.
Diese Praxis veranlasst die Dialoger, Druck auf die Passanten auszuüben. Ex-Mitarbeiter berichten von verschiedenen Maschen. Sie bauen moralischen Druck auf, flirten oder nutzen andere Überredungsmethoden. Beispiel einer Dialoger-Anrede: «Mach mal dein Portemonnaie auf. Sieh mal, würdest du diese 50 Rappen vermissen? Also. Für nur 50 Rappen am Tag, kannst du etwas Gutes bewirken.» Beim Ausfüllen des Vertrags werden aus den 50 Rappen pro Tag dann plötzlich 180 Franken pro Jahr.
Corris bezeichnet das Vorgehen als «kundenfreundlich». Man könne am Bezahlterminal auch nur einmalig spenden. Zudem sei der administrative Aufwand dank der automatischen Überweisung gering. Dadurch komme dem jeweiligen Hilfswerk mehr Geld zugute.
«Auf Anfrage» gibt es die Spende zurück
Auch Konsumentenschützerin Sara Stalder verteidigt die Kooperation mit Corris und erklärt, dass ihre Stiftung «auf Anfrage» bereits bezahlte Spenden zurückerstatte. Es sei überdies ausdrücklich mit Corris vereinbart, dass Passanten auf keinen Fall bedrängt werden dürften. Stalder will aber nicht sagen, wie viel Geld von einer Jahresspende an die Stiftung für Konsumentenschutz bei Corris bleibt.
Recherchen von saldo ergeben: Ein Dialoger kostet die Hilfswerke zwischen 800 und 850 Franken pro Tag. Corris-Chef Baldwin Bakker bestätigt die Zahlen. Gemäss Angaben von ehemaligen Mitarbeitern akquiriert ein Dialoger im Durchschnitt etwa vier Spender pro Tag, die einen Jahresbeitrag von durchschnittlich je 150 Franken zahlen. Die Tageseinnahmen von 600 Franken pro Dialoger decken also die Kosten des Hilfswerks nicht. Erst wenn Spender der Organisation mehrere Jahre lang treu bleiben und weiter einzahlen, sind die Ausgaben gedeckt.
Hilfswerke rechnen gemäss Branchenkennern mit drei Jahresspenden, die es durchschnittlich pro Gönner braucht, bis die Kosten von Corris vollständig gedeckt sind.