Vor drei Jahren ging es los. Nach jedem Essen fühlte sich Heidi Vetter müde. Sie hatte starke Bauchkrämpfe, Blähungen und Durchfall. Zuerst schob es die ehemalige Werbefachfrau aus dem Thurgau auf die hektische Zeit ab. Damals war alles etwas viel, der Umzug in eine neue Wohnung und der Schritt in die berufliche Selbständigkeit. Als die Beschwerden aber nicht besserten, ging sie zu einem Naturheilarzt. Dieser vermutete, dass sie verschiedene Nahrungsmittel nicht vertrage, und schickte ihr Blut dem Institut für angewandte Biochemie in Kreuzlingen. Dieses führte einen sogenannten Imuscan-Test durch.
Resultat: Heidi Vetter vertrage zahlreiche Nahrungsmittel nicht, stand im Laborbericht. Ganz schlimm seien ungekochte Früchte, Kidneybohnen, Weizen, Hafer, Couscous, Miesmuscheln, Nüsse und Milch. Fortan verzichtete Heidi Vetter auf diese Lebensmittel und schöpfte Hoffnung. Nachdem sie sich «praktisch nur noch von Gemüse, Kartoffeln und glutenfreien Teigwaren» ernährt hatte, besserten sich die Beschwerden zwar ein wenig, verschwanden aber nicht.
Den Allergie-Spezialisten Brunello Wüthrich erstaunt das nicht: «Dieser Test kann eine Unverträglichkeit gar nicht nachweisen.»
Der Test misst Antikörper des Typs IgG im Blut. Erhöhte IgG-Werte sollen eine Unverträglichkeit anzeigen. Laut Experten stimmt genau das nicht. Grund: Der Körper bilde nach jedem Essen solche Antikörper – auch bei gesunden Menschen.
Für den Präventivmediziner David Fäh von der Universität Zürich ist klar: «Solche Tests sind wissenschaftlich nicht fundiert und bergen Gefahren.» Dadurch würden Menschen Lebensmittel unnötigerweise vom Speiseplan streichen. Das könne das Risiko erhöhen, eine Essstörung zu entwickeln.
Für die Anbieter sind solche Tests lukrativ. Das Institut für angewandte Biochemie in Kreuzlingen etwa verlangt für den Imuscan-Test 542 Franken. Fäh: «Das ist eine Geldmacherei.»
Matthias Heiliger, medizinischer Leiter des Instituts, sieht den Nutzen der Tests allerdings als belegt an und verweist auf die positiven Rückmeldungen von Personen, die ihn durchführen liessen.
Eine Blutprobe und zwei völlig unterschiedliche Diagnosen
Auch andere Tests gegen Unverträglichkeiten von Nahrungsmitteln sind umstritten.
- Alcat-Test: Er basiert auf der Annahme, dass Nahrungsmittel eine Entzündung im Körper auslösen können. Das verändert die weissen Blutkörperchen. Der Test misst diese Veränderung. Vertrieben wird er von der Firma Alcat mit Sitz in Deutschland. Kostenpunkt: bis zu 470 Franken, abhängig davon, wie viele Lebensmittel man prüfen möchte.
Fachleute halten auch davon nichts. Wüthrich sagt: «Er liefert falsche Resultate.» Er hatte in Zusammenarbeit mit der Fernsehsendung «Patti Chiari» des Tessiner Fernsehens einen solchen Test durchführen lassen. Dafür schickten sie zwei Blutproben von derselben Person unter zwei verschiedenen Namen ins Labor. Das Resultat: Bei der einen Probe vertrug die Person Tomaten, Oliven und Weizen nicht. Bei der anderen Probe waren es Rüebli, Blumenkohl, Erbsen, Pfirsiche und Gerste. «Das zeigt, dass der Test nicht reproduzierbar und darum falsch ist», sagt Wüthrich.
Auch Forscher der Universität Singapur kamen 2010 in einer Übersichtsstudie zum Schluss, dass der Nutzen dieser Tests wissenschaftlich nicht genügend dokumentiert sei.
Die Firma Alcat weist die Kritik zurück und erwähnt 35 Studien, die den Nutzen des Tests belegten. saldo hakte nach: Doch statt der 35 Studien schickte Alcat eine Werbebroschüre, eine Zusammenfassung einer Studie sowie einen Artikel aus einer Heilkundezeitschrift.
- Kinesiologie: Therapeuten legen dem Patienten ein Nahrungsmittel auf den Körper und testen dann die Stärke der Muskeln. Das geht so: Der Patient streckt den Arm aus und die Therapeutin versucht, diesen herunterzudrücken. Gelingt das, sind die Muskeln schwach und das Nahrungsmittel wird nicht vertragen. Wüthrich schüttelt nur den Kopf: «Das ist unwissenschaftlich.»
Dominik Schenker vom Berufsverband KineSuisse entgegnet: «Die Unverträglichkeit ist für uns eine Folge von Stress.» Die Kinesiologie suche nach der Ursache dieses Stresses und der Patient «löse diesen in Zusammenarbeit mit dem Kinesiologen auf».
- Bioresonanz: Bei diesem Verfahren geht man davon aus, dass jede Person und jede Substanz – also auch Nahrungsmittel – elektromagnetische Schwingungen aussenden. Zur Diagnose setzen die Therapeu- ten ein Gerät ein, das «krankmachende Schwingungen» misst.
Thomas Hauser, Präsident der Zürcher Allergologie- und Immunologie- gesellschaft, sagt dazu: «Die Menschen senden keine solchen Schwingungen aus.» Das Gerät messe einfach die Umgebungsstrahlung, die es überall auf der Erde gebe und die aus dem Weltall oder Erdinneren komme. Er bezeichnet solche Methoden als «pseudowissenschaftliche Verfahren». Die Anbieter verwendeten zwar biologische Messverfahren und Begriffe, missachteten aber naturwissenschaftliche Zusammenhänge und könnten den Nutzen nicht wissenschaftlich belegen.
Hans Ruedi Aeberli von der Schweizerischen Gesellschaft für Energie-, Bioresonanz- und Informationsmedizin wehrt sich gegen diesen Vorwurf. Er beruft sich auf die «jahrzehntelange Erfahrung vieler Bioresonanzärzte und -therapeuten».
Für Heidi Vetter zählt heute nur eines: wieder gesund werden. Die Hoffnung hat sie nicht aufgegeben. Sie setzt aber auf keine der beschriebenen Methoden, sondern versucht ihre Darmflora zu stärken. «Mir scheint, mein Bauch hat sich etwas beruhigt. Doch nach drei Jahren Leiden darf ich noch nicht so schnell positive Resultate erwarten.»