Die «NZZ am Sonntag» schlug Ende August Alarm: «Ohne Reform droht dem wichtigsten Schweizer Sozialwerk ein Loch in dreistelliger Milliardenhöhe». Auch die «Weltwoche» schreibt über die «finanziell angeschlagene AHV» und für den «Tages-Anzeiger» ist «die Situation der AHV brenzlig». Einen drauf setzt die UBS: Ihre Vorsorgeexpertin Veronica Weisser kommt im Vorsorge-Guide der «Handelszeitung» zum Schluss: «Das Loch in der AHV ist gigantisch: Langfristig fehlen rund 1000 Milliarden Franken.»
Das sagte sie schon vor vier Jahren (saldo 8/2014). Durch stetes Wiederholen wird etwas Falsches aber nicht richtig. Trotzdem prägt es sich in den Köpfen ein. Das zeigen die Ergebnisse einer aktuellen Credit-Suisse-Umfrage: Nicht Jobprobleme beschäftigen junge Schweizer angeblich am stärksten. Sondern die Frage, wie viel Geld ihnen im Alter bleibt.
AHV hat ein Polster von 45,8 Milliarden Franken
Doch die Angst ist unbegründet. Die Panikmacher verschweigen, dass die 1948 gegründete AHV bisher immer mehr Gewinn erwirtschaftete und die Reserven laufend steigen: Die AHV hatte Ende 2017 ein fettes Polster von 45,8 Milliarden Franken. Es verdoppelte sich seit dem Jahr 2000. Dies, obwohl die Lebenserwartung stieg – und die Beiträge in die AHV ungefähr gleich blieben. Seit 1975 zahlen Arbeitgeber und Angestellte zusammen 8,4 Prozent Lohnprozente in die AHV.
Das Erfolgsgeheimnis: Die Beschäftigung nahm in den letzten Jahrzehnten zu und die Löhne stiegen. Weil sich die Löhne erhöhten, hatten sich die AHV-Erträge aus den Lohnabzügen mehr als verdoppelt.
Heute liegt der AHV-Durchschnittslohn in der Schweiz bei 95 000 Franken. Nach der Einführung der AHV waren es im Jahr 1950 gerade mal 23 000 Franken (Teuerung berücksichtigt). Die Reallöhne vervierfachten sich also laut aktuellsten Berechnungen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes in den letzten 70 Jahren. Entsprechend mehr Einnahmen flossen in die AHV. Auslöser für diesen Schub ist die stets grössere Anzahl von erwerbstätigen Frauen, sowie die Zuwanderung hochqualifizierter ausländischer Arbeitskräfte.
Nicht nur die Zahl der Beitragszahler steigt, sondern auch ihre Produktivität. Typisches Beispiel ist die Landwirtschaft. Im Jahr 1900 arbeiteten fast 500 000 Leute auf Bauernhöfen. Heute sind es noch rund 150 000. Doch diese produzieren 2,5-mal mehr Fleisch, Milch, Getreide und Gemüse als früher. Dank effizienteren Produktionsmethoden und Hightech-Maschinen. Die gleiche Entwicklung gab es auch in der Industrie, auf dem Bau und in der Dienstleistungsbranche.
AHV schrieb trotz Krisen schwarze Zahlen
Weil die Beschäftigten immer mehr erwirtschaften und die Löhne steigen, braucht es zur Finanzierung einer Rente immer weniger Erwerbstätige. Die AHV-Maximalrente betrug im Jahr 1950 inflationsbereinigt 595 Franken im Monat. Es brauchte damals 7,8 Beschäftigte, um diese Rente zu finanzieren. Heute sind zur Finanzierung einer Maximalrente nur noch 1,9 Beschäftigte nötig. Wichtiger als die demografische Entwicklung ist für eine solide AHV somit, dass Produktivität und Löhne steigen.
Eindrücklich, wie die vielgeschmähte AHV allein in der jüngsten Zeit mehrere weltweite Krisen schadlos überlebte: Die erste Ölkrise Mitte der 70er-Jahre führte auch in der Schweiz zum heftigsten Wirtschaftseinbruch der Nachkriegszeit. Die zweite Ölkrise Ende der 70er-Jahre riss die gesamte Weltwirtschaft – und mit ihr die Schweiz – in die Tiefe. Das Platzen der Schweizer Immobilienblase führte von 1991 bis 1997 zu einer langen Stagnation. Ab März 2000 stürzten die Aktien der Internetfirmen ab. Das führte zu einem Abschwung der Weltwirtschaft. Auch in der Schweiz verloren Kleinanleger massiv Geld. Rasch sinkende Immobilienpreise brachten das US-Finanzsystem ins Schlingern. Ende 2008 kam die Bankenkrise mit gigantischen Konkursen.
Sogar die Grossbank UBS musste damals von den Schweizer Steuerzahlern vor dem Konkurs gerettet werden. Während die AHV auch 70 Jahre nach ihrer Gründung schwarze Zahlen schreibt.