So leicht kommt die Polizei an Überwachungsvideos
Bahn- und Busbetriebe überwachen Kunden mit Zehntausenden von Kameras. Polizisten und Staatsanwälte machen von den Aufnahmen nach Belieben Gebrauch – im letzen Jahr über 4000 Mal.
Inhalt
saldo 10/2023
30.05.2023
Letzte Aktualisierung:
01.06.2023
Karl Kümin
Die Überwachung im öffentlichen Verkehr nimmt zu: Die SBB und andere grosse Bahnbetriebe haben die Anzahl Kameras in Zügen und Bahnhöfen seit 2015 stark erhöht – auf insgesamt mehr als 36 000 Stück. Das berichtete der «Sonntagsblick» im März. Die Kameras überwachen die Passagiere heute in Zügen, Bussen und Bahnhöfen und sollen gemäss den Betreibern für mehr Sicherheit sorgen. Im vergangenen Jahr landeten rund...
Die Überwachung im öffentlichen Verkehr nimmt zu: Die SBB und andere grosse Bahnbetriebe haben die Anzahl Kameras in Zügen und Bahnhöfen seit 2015 stark erhöht – auf insgesamt mehr als 36 000 Stück. Das berichtete der «Sonntagsblick» im März. Die Kameras überwachen die Passagiere heute in Zügen, Bussen und Bahnhöfen und sollen gemäss den Betreibern für mehr Sicherheit sorgen. Im vergangenen Jahr landeten rund 2400 Videos der SBB bei den Strafverfolgungsbehörden – doppelt so viele wie noch 2016. Das geht aus der aktuellen Ausgabe des Juristenmagazins «Plädoyer» hervor.
Doch unter welchen Bedingungen dürfen die Betriebe des öffentlichen Verkehrs Passagiere filmen und die Videos der Justiz aushändigen?
Privaten Firmen ist es grundsätzlich untersagt, den öffentlichen Raum zu überwachen. Das steht in einem Merkblatt des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten. Gleich entschied auch das Bundesgericht (Urteil 6B_1468/2019 vom 1. September 2020). Auch den Kantonen und Gemeinden sind bei der Überwachung des öffentlichen Raums Grenzen gesetzt.
Freipass für Bespitzelung im öffentlichen Verkehr
Doch den Betrieben des öffentlichen Verkehrs gab das Parlament im Personenbeförderungsgesetz einen Freipass, um Wagen und Bahnhöfe mit Kameras auszustatten. Die Daten werden mindestens drei Tage gespeichert und müssen spätestens nach 100 Tagen gelöscht werden.
Gegenüber «Plädoyer» versicherten sieben Verkehrsbetriebe, die Strafverfolger würden die Überwachungsvideos nur erhalten, wenn sie eine schriftliche Herausgabeverfügung einer Behörde erhalten.
Die Berner Bahngesellschaft BLS gibt an, der Polizei oder den Staatsanwaltschaften im letzten Jahr 750 Videos zugänglich gemacht zu haben. Postauto gab in 121 Fällen Filme heraus. Die Strafverfolger würden die Filme vermehrt für Delikte ausserhalb des Postautos anfordern, etwa bei einem Raub in einem Tankstellenshop. Die Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich übergaben den Strafverfolgungsbehörden 2022 in 487 Fällen Videomaterial, bei der Südostbahn waren es 110, bei den Basler Verkehrsbetrieben und der Rhätischen Bahn je 80 Fälle.
Das ist rechtlich zulässig, sagt Monika Simmler, Assistenzprofessorin für Strafrecht an der Universität St. Gallen. Gestützt auf Artikel 265 der Strafprozessordnung dürften Staatsanwaltschaft und Polizei die Herausgabe von Aufnahmen verlangen. In Bern und Zürich stellt meistens die Polizei die Begehren. Im Aargau und in Graubünden erlässt dagegen immer die Staatsanwaltschaft die Herausgabeverfügungen.