Die Klägerin ist dispensiert von der Verhandlung am Bezirksgericht in Weinfelden TG. Damit bleibt ihr die Konfrontation mit dem Ex-Freund erspart. Ihr Anwalt begründet die Klage: Der 50-Jährige betreibe obsessives Nachstellen. «Der Beklagte hat sich bisher kaum davon abhalten lassen, die Klägerin zu belästigen», sagt der Anwalt. Deshalb beantragt er, das auslaufende richterliche Kontaktverbot um fünf Jahre zu verlängern.
Das Bezirksgericht hatte dem Mann vor drei Jahren verboten, mit der Ex-Freundin (59) telefonisch, schriftlich oder anderweitig Kontakt aufzunehmen, sich ihr auf weniger als 100 Meter zu nähern und sich in den Gemeinden aufzuhalten, in denen sie wohnt und arbeitet. Für den Arbeitsort gewährte es eine Ausnahme: jeweils mittwochs ab 12 Uhr, damit der Mann dort Bekannte besuchen kann. Doch der Mann halte sich nicht an dieses Kontaktverbot, sagt der Anwalt. Er habe die Frau seither mit 408 Telefonanrufen belästigt und drangsaliere auch ihren Sohn.
Die darauf folgende strafrechtliche Verurteilung mit Kontaktverbot beeindrucke den Beklagten offenbar nicht, das Urteil habe er angefochten. «Deshalb wird es noch lange dauern, bis die strafrechtlich erlassenen Kontakt-, Annäherungs- und Rayonverbote in Kraft treten.» Ohne Verlängerung der Schutzmassnahmen werde die Angelegenheit weiter eskalieren, meint der Anwalt: «Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.»
Nun erteilt der vorsitzende Richter dem Beklagten das Wort. Der Mann fordert, dass das Ortsverbot aufzuheben sei. Er habe keine Absicht, die Frau zu kontaktieren. Er wolle sich nur wieder frei bewegen können. Seit Jahren würden die Klägerin und ihre Familie «einen barbarischen Krieg mit Unterstützung von verschiedenen Amtsstellen» gegen ihn betreiben, sagt er. Sie tue so, als habe sie Angst vor ihm.
«Aber das stimmt nicht. Die Frau will mit mir Schluss machen», sagt der Beklagte. «Sie sucht Unterstützung vom Gericht, statt es mir zu erklären.» Vier Jahre lang habe die Frau mit Wissen ihres Ehegatten mit ihm eine Beziehung geführt. Nun breitet der Beklagte Fotos auf dem Tisch vor sich aus: Er und seine Ex-Freundin vor vielleicht fünf oder sechs Jahren – glücklich lächelnd. «Dann war alles anders, von einem Tag auf den anderen», sagt der Mann. «Ich wollte von ihr wissen, was passiert ist.» Stattdessen versuche sie mit ihren Lügen, seinen Bewegungsradius immer weiter einzuschränken.
Das Gericht verlängert das Kontakt- und Rayonverbot
Das Plädoyer des Beklagten dauert gut eine Stunde, dann schliesst der vorsitzende Richter die Verhandlung. Das Urteil folgt schriftlich. Darin heisst das Gericht die beantragte Verlängerung des Kontakt-, Annäherungs- und Rayonverbots um fünf Jahre gut. Damit bestätigt es die vorsorgliche Verlängerung, die es im Vorfeld der Verhandlung beschlossen hatte. Verstösst der Beklagte gegen das Ortsverbot, kann sich die Frau an die Staatsanwaltschaft oder in dringenden Fällen an die Polizei wenden.
Das Verhalten des Beklagten entspreche der gängigen Definition von Stalking, also einer «Form von Psychoterror, bei der eine Person über einen längeren Zeitraum belästigt, verfolgt, überwacht, geängstigt, drangsaliert oder schikaniert und so in Angst versetzt wird», heisst es im Urteil. Der Beklagte habe das Ende der Beziehung noch nicht verdaut und wolle die Sache nicht ruhen lassen. Das habe auch die Verhandlung belegt. Die Massnahmen seien verhältnismässig, auch die Ortsverbote.
Der Beklagte ist mit dem Urteil nicht einverstanden. Er zieht den Fall ans Obergericht weiter.
Personenschutz im Privatrecht
Wer von Stalking betroffen ist, kann beim Gericht ein Annäherungs-, Kontakt- oder Rayonverbot verlangen. Dazu bedarf es einer zivilrechtlichen Klage, gestützt auf Artikel 28b des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs. Weil ein ordentliches Verfahren Zeit beansprucht, können dem Gericht in dringenden Fällen auch vorsorgliche Massnahmen beantragt werden. Auch das Strafrecht kennt ein Kontakt- und Rayonverbot. Es greift aber nur in schwereren Fällen von Stalking, zum Beispiel verbunden mit Todesdrohungen.