Am 1. Oktober 2012 hatte der Ostschweizer Stefan S. Glück. Die Ärzte am Zürcher Triemlispital operierten ihn gerade noch, bevor seine erweiterte Hauptschlagader riss und er in akute Lebensgefahr geraten wäre.
Dafür hatte der 49-Jährige später Pech: Seine Krankenkasse Easy Sana, eine Tochter der Groupe Mutuel, weigert sich bis heute, für die rund 13 000 Franken teure Laboruntersuchung seiner Erbanlagen zu bezahlen.
Die Kasse behauptet, die Gen-Analyse bringe nichts. Für den Gendiagnostikspezialisten Gabor Matyas von der Stiftung für Menschen mit seltenen Krankheiten in Zürich ist jedoch klar, dass «die Gen-Analyse das Leben von S. retten kann». Sie zeigt, ob seiner erweiterten Hauptschlagader das Marfan-Syndrom oder eine andere seltene Krankheit zugrunde liegt – was äusserlich kaum voneinander zu unterscheiden ist. Nur auf der Basis einer eindeutigen Diagnose kann ein Facharzt die richtigen Medikamente verschreiben.
Seltene Krankheiten haben häufig eine genetische Ursache
Laut Gabor Matyas wissen in der Schweiz viele Menschen mit seltenen Krankheiten nicht genau, woran sie leiden. Gen-Analysen könnten vielen von ihnen eindeutige Diagnosen liefern. Denn etwa 80 Prozent der seltenen Krankheiten sind genetisch bedingt (saldo 2/14).
Doch Kassen zahlen oft keine genetische Untersuchung. Das von der Stiftung für Menschen mit seltenen Krankheiten betriebene Labor für Gendiagnostik führte letztes Jahr rund 150 Gen-Analysen bei Patienten durch, die vermutlich an seltenen Herzkrankheiten leiden. Die Kassen bezahlten nach Angaben der Stiftung jedoch nur einen Drittel der in Rechnung gestellten Leistungen, obwohl diese auf der Analysenliste des Bundesamtes für Gesundheit stehen. Die Liste schreibt den Kassen vor, für welche Krankheiten sie genetische Laboruntersuchungen in der Grundversicherung vergüten müssen.
Betroffene sind der Willkür der Kassen ausgeliefert. Das zeigen Entscheide, die saldo vorliegen. Die CSS anerkennt in einem Schreiben eine vorgesehene genetische Untersuchung des Marfan-Syndroms als Pflichtleistung und übernimmt die Kosten. Die Concordia lehnt einen solchen Antrag jedoch ohne Begründung ab. Die Visana begründet ihr Nein damit, dass Gen-Analysen nicht zu den Pflichtleistungen der Krankenversicherer gehören. Das Marfan-Sydrom steht aber auf der Liste. Kassen kürzen immer wieder auch den Erstattungsbetrag für genetische Untersuchungen, obwohl sie laut Bundesamt für Gesundheit nicht vom amtlichen Tarif abweichen dürfen.
Bundesamt gibt an, nichts von fehlbaren Kassen zu wissen
Die Stiftung für Menschen mit seltenen Krankheiten fordert vom Bundesamt, «die fehlbaren Krankenkassen zur Rechenschaft zu ziehen und den Versicherten zu ihrem Recht zu verhelfen». Das Amt kann Bussen bis zu 5000 Franken gegen Krankenkassen verhängen, die solche Leistungen nicht vergüten.
Eine Sprecherin des Bundesamts erklärt auf Anfrage, die Behörde habe keine «Kenntnis von einem widerrechtlichen Verhalten einzelner Versicherer». Auch die Groupe Mutuel bestreitet die Vorwürfe. Man wende «konsequent für alle Versicherten die gesetzlichen Bestimmungen gleich an». Die Kasse beruft sich auf das Gesetz, das eine Kostenübernahme genetischer Analysen ohne Einfluss auf die medizinische Behandlung der Patienten nicht vorsieht.
Versicherungsleistungen: Krankenkassen haben nicht das letzte Wort
Nicht die Krankenkassen entscheiden, welche Ansprüche die Versicherten haben, sondern das Gesetz. Wenn sich eine Krankenkasse weigert, für die Kosten einer Behandlung aufzukommen, müssen Versicherte dies deshalb nicht widerspruchslos akzeptieren. Sie können von der Kasse eine Verfügung mit Rechtsmittelbelehrung verlangen. Darin steht, ob die Kasse an der Ablehnung der Leistungen festhält – und innerhalb von welcher Frist man dagegen Beschwerde erheben kann. Zuständig ist das kantonale Versicherungsgericht. Das Verfahren ist in der Regel kostenlos. Weitere Informationen zum Instanzenweg bei den Sozialversicherungen finden Sie im saldo-Ratgeber «So kommen Sie zu Ihrem Recht»