Seit zwei Jahren sorgt der Dieselskandal weltweit für Schlagzeilen. Autohersteller sind wegen der systematischen Manipulation ihrer Fahrzeuge unter Beschuss geraten. So gelangten viel mehr schädliche Abgase in die Luft als erlaubt. Legal, aber fast unbekannt ist dagegen ein anderer dramatischer Luftverschmutzer bei Autos: der Kaltstart.
Messungen der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) von diesem Jahr zeigen: 90 Prozent aller gasförmigen Schadstoffe eines Benzinmotors entstehen beim Kaltstart. Das sind Kohlenwasserstoffe (HC), Kohlenmonoxid (CO) und Stickoxide (NOX). Das Klimagas Kohlendioxid (CO2) gilt nicht als Atemschadstoff. Schon zehn Jahre zuvor kam die Empa auf denselben Messwert. Damals war sie eine der ersten Forschungsinstitutionen weltweit, die das Ausmass der Kaltstartproblematik erkannte. Konkret: Auf den ersten 500 Metern Fahrt gibt ein Auto im Sommer so viele Schadstoffe ab wie auf den nächsten 1000 Kilometern. Im Winter sind es sogar so viel wie auf den nächsten 2500 Kilometern. In der Kaltstartphase ist der Anteil an freigesetztem HC und CO nach Angaben des Bundesamts für Umwelt 1000- bis 10 000-mal höher als im normalen Betriebszustand. Beides sind Schadstoffe, welche die Gesundheit beeinträchtigen können. HC-Emissionen sind unter anderem Vorläufersubstanzen von Feinstaub.
Katalysator wirkt erst nach ein bis zwei Minuten
Schuld an der Umweltbelastung ist der Katalysator. Er soll Abgase eigentlich reinigen. Das Problem: Ein Katalysator neutralisiert die Emissionen je nach Umgebungstemperatur erst ein bis zwei Minuten nach dem Start des Motors. Dann hat er die notwendige Betriebstemperatur von mindestens 250 Grad Celsius erreicht.
Besonders ärgerlich: «Das Kaltstartproblem ist seit Mitte der 1990erJahre bekannt», sagt Empa-Abteilungsleiter Christian Bach. 2002 wurde im Rahmen der Abgasnorm Euro 3 die bisher einzige Kaltstartvorschrift eingeführt. Die darin festgeschriebenen Emissionsgrenzwerte sind hoch und wurden seither nie verändert. Für Bach ist klar: «Der Druck des Gesetzgebers auf die Autoindustrie fehlte seit Euro 3, deshalb geschah diesbezüglich in den vergangenen 15 Jahren nichts.»
Giovanni D’Urbano, Chef der Sektion Verkehr des Bundesamts für Umwelt, teilt die Einschätzung: «Die Kaltstartnorm muss verschärft, die Abgasgrenzwerte müssen gesenkt werden.»
Die Lösung für das Problem könnte aus der Schweiz kommen: Schon seit zwei Jahren forscht die Empa an einem mikrowellenbeheizten Katalysator. Damit soll der Abgasreiniger schnell auf die richtige Betriebstemperatur gebracht werden: «Wir wollen erreichen, dass die Mikrowelle startet, wenn der Fahrer die Autotür öffnet», sagt Christian Bach. «Innerhalb von zehn Sekunden muss der Katalysator auf die nötige Temperatur aufgeheizt sein.» Die Forscher in Dübendorf ZH haben bereits ein neuartiges Modell entwickelt. Der vermutlich weltweit erste aus dünnen Keramikstreben bestehende Katalysator aus dem 3-D-Drucker hat eine deutlich kleinere Oberfläche als heutige Modelle, was ihn leichter macht. Dadurch benötigt der Abgasreiniger weniger elektrische Heizenergie.
Projekt mit Steuergeldern finanziert
Die Entwicklung der Empa hat das Interesse der Privatwirtschaft geweckt. Seit diesem Sommer sind ein Autokonzern sowie weitere Industriepartner am Projekt beteiligt. Christian Bach und sein Team wollen den Kat spätestens 2020 in Originalgrösse in ein Prototypenfahrzeug einbauen und testen. Ihr Ziel: die Schadstoffe bei Kaltstarts «auf null» zu reduzieren. Finanziert wird das rund 1,1 Millionen Franken teure Projekt grösstenteils mit Steuergeldern. «Behörden können verschärfte Abgasgrenzwerte beim Kaltstart nur fordern, wenn auch technische Lösungen vorhanden sind», sagt Daniel Zürcher vom Bundesamt für Umwelt. Saubere Luft sei von allgemeinem Interesse, deshalb seien öffentliche Gelder für solche Neuentwicklungen legitim.
Autohersteller nehmen nicht Stellung
Warum unternahmen die Autohersteller selbst bisher nichts gegen die Kaltstartemissionen? Die deutschen Autobauer, die 2016 rund die Hälfte der 317 318 neuen Autos in der Schweiz verkauften, geben sich gegenüber saldo zugeknöpft. Von Daimler-Benz gibts keine Stellungnahme. Die Volkswagen AG und der deutsche Verband der Autoindustrie VDA verweisen nur auf den im September eingeführten neuen Euro-6-Testzyklus unter realen Fahrbedingungen. Dieser hat mit der Kaltstartproblematik jedoch nichts zu tun. Zudem ist er so angelegt, dass Autohersteller weiterhin schummeln können (siehe «K-Tipp» 16/2017). Und die BMW Group schreibt bloss, sie untersuche «aktuell» mikrowellenbeheizte Katalysatoren. Die Heizleistung sei aber «noch nicht ausreichend».
Das können Autofahrer gegen Schadstoffe tun
Für kurze Distanzen wenn immer möglich aufs Auto verzichten. Bei solchen Fahrten sind die Emissionen besonders hoch.
Der Schadstoffausstoss eines Benzinmotors hängt auch vom Fahrstil ab. Ist der Motor noch nicht auf Betriebstemperatur, lässt er sich bei Autos mit Handschaltung durch einen niedertourigen Fahrstil positiv beeinflussen. Man sollte zügig hochschalten. Im Vorteil sind Fahrzeuge mit Automatik. Sie schalten bei optimaler Drehzahl.
Stop-and-go-Verkehr sollte man meiden. Wegen vieler Ampeln, Stoppstrassen und Fussgängerstreifen führt dies zu häufigeren Motorstarts und erhöhten Emissionen.
Den Motor im Stand warmlaufen zu lassen, ist verboten. Zudem schadet es ihm.