Etwa 5 von 100 männlichen Schweinen entwickeln Ebergeruch. Wird ihr Fleisch erhitzt, ist es ungeniessbar. Der Geruch wird durch die Hoden der Tiere produziert. Kastrierte Schweine entwickeln keinen solchen unangenehmen Geruch. Deshalb werden männliche Ferkel in den ersten zwei Lebenswochen kastriert. Laut dem Bundesamt für Veterinärwesen sind das jedes Jahr rund 1,3 Millionen Tiere.
Seit 2010 müssen die Schweineproduzenten die Ferkel bei der Kastration betäuben. Viele Landwirte verwenden dazu einen Inhalationsapparat und das Narkosegas Isofluran. Doch die Geräte sind teuer. Kleinere Höfe rufen deshalb oft einen Tierarzt, um ihre Ferkel mit einer Narkosespritze betäuben zu lassen.
Eine Studie der Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich von 2013 zeigt: Die Schmerzausschaltung bei der Kastration ist oft unvollständig. 14 Prozent der 3800 untersuchten und mit Narkosegas betäubten Ferkel zeigten Abwehrbewegungen und gaben Laute von sich. Fast die Hälfte der Züchter verabreichten den Tieren die entsprechenden Schmerzmittel zu spät. 28 Prozent der Inhalationsapparate waren nicht ausreichend gewartet.
Impfung neutralisiert gewisse Hormone
Bei der Kastration mit der Narkosespritze zeigte sogar jedes dritte Ferkel «starke Abwehrbewegungen». Bei 17 Prozent der Tiere gab es zudem «heftige Abwehrreaktionen» während der Aufwachphase. Einige Betriebe kastrierten die Ferkel erst nach der zweiten Lebenswoche. Das widerspricht dem Tierschutzgesetz.
Laut Schweizer Tierschutz ist es unter Fachleuten ein offenes Geheimnis, dass die Schmerzausschaltung bei einem erheblichen Teil der Ferkel nicht korrekt erfolgt. Das Bundesamt für Veterinärwesen räumt ein, dass die Kastration bei einer zu hohen Anzahl Ferkel «unbefriedigend verläuft».
Das Bundesamt und die Autoren der Zürcher Studie empfehlen statt der Kastration eine Impfung mit Improvac. Dieser Stoff neutralisiert körpereigene Botenstoffe, welche die Geschlechtsentwicklung steuern. Die Impfung sei zuverlässig und tierschonend. Hormone kämen nicht zum Einsatz. Im Fleisch entstünden keine Rückstände. Der Konsum des Fleisches sei unbedenklich.
Trotzdem gibt es kaum geimpfte Ferkel. Grund dafür ist laut Bundesamt, dass der Handel vor allem Fleisch von Tieren will, die «mittels Skalpell kastriert worden sind». Auch für den Schweizerischen Schweinezucht- und Schweineproduzentenverband Suisseporcs ist die chirurgische Kastration unter Narkose zurzeit die einzig machbare Methode. Geschäftsführer Felix Grob: «Die Abnehmer wollen keine gegen Ebergeruch geimpften Schweine.»
Migros-Sprecher Luzi Weber bestätigt: «Die Migros verkauft kein Fleisch von Tieren, die gegen Ebergeruch geimpft wurden.» Studien und Kundenbefragungen hätten gezeigt, dass Konsumenten der Impfung kritisch gegenüberstehen.
Auch Aldi, Lidl, Denner, Spar und Manor erklären, Fleisch geimpfter Schweine nicht zu verkaufen. Das gilt auch bei Bio-Ferkeln. Laut Bio Suisse greift die Impfung in den Hormonhaushalt des Tieres ein – das passe nicht zum Bio-Landbau.
Coop verkauft Fleisch von geimpften Tieren
Einzig Coop bezeichnet die Impfung mit Improvac als «tierfreundlich» und lässt sie unter dem Label Naturafarm zu. Zurzeit impfen drei Naturafarm-Betriebe Ferkel. Sprecherin Moscha Huber: «Rund 2500 geimpfte Jungeber kommen jährlich zur Schlachtung.»
Xaver Sidler, Autor der Ferkelstudie und Leiter der Abteilung für Schweinemedizin an der Vetsuisse-Fakultät in Zürich, hält die chirurgische Kastration für überholt. Die Fleischbranche müsse ihre kompromisslose Ablehnung der Impfung überdenken.
Immerhin: Die Schweiz ist das einzige Land, das die Vollnarkose bei der Ferkelkastration vorschreibt. In Norwegen werden die Ferkel zumindest örtlich betäubt.
Ebergeruch besser erkennen
Das Bundesamt für Veterinärwesen fordert als langfristiges Ziel den Verzicht auf die Kastration. Dazu braucht es zunächst Verbesserungen in der Zucht. Damit sinkt der Anteil der Eber mit geruchsbelastetem Fleisch. Weiter benötigen Schlachthöfe automatisierte Methoden, um geruchsbelastetes Fleisch schnell zu erkennen. Beim Fleischverarbeiter Bell erhitzt heute der Kantonstierarzt von jedem Eber eine Fettprobe aus dem Nackenbereich, damit Fleisch mit Ebergeruch aussortiert werden kann.
Mast ohne Kastration ist möglich: Irland und Grossbritannien kastrieren praktisch keine Ferkel.