Wer keine Zähne mehr hat, braucht gute Augen. Das gilt zumindest für Personen, die für ihre künstlichen Zähne Kukident benutzen. Die Schriftgrösse auf der Verpackung ist so klein, dass man sie kaum lesen kann. «Auch mit der Brille konnte ich nicht entziffern, was da steht», ärgert sich saldo-Leserin Ruth El Bay-Hofer aus Bern.
saldo-Leser Lucas B. aus Zürich kaufte in der Migros eine Packung «Tessiner Platte» von Rapelli mit Salami und Schinken. Die Zutaten sind auf der Rückseite auf eine Etikette gedruckt. Platz für eine lesbare Schriftgrösse hätte es genug. Weshalb so viel Papier und dann doch nur «eine so winzige Schrift» verwendet wurde, ist für Lucas B. ein Rätsel. Er sagt: «Krasser könnte es gar nicht sein.»
Kukident und Tessiner Platte sind kein Einzelfall. saldo hat weitere Produkte gefunden und wollte bei einer Strassenumfrage in Zürich wissen, was Konsumenten dazu sagen.
Beispiel «Gesichts-Kaltwachsstreifen» von Veet: «Da wird einem ja schlecht, wenn man versucht, das zu lesen. Das ist eine Katastrophe», sagt Nina Diller (42) aus Dübendorf. Oder «Rescue Pastillen» von Bach-Blüten. «Um das zu lesen, bräuchte ich eine Lupe. Das ist besonders mühsam, wenn man im Stress ist», sagt Marianne Pauli (67) aus Thalwil. Und für Françoise Reymond (58) aus Dietlikon ist «die Schrift auf der Etikette der Olivenpaste von «Le conserve della nonna» so klein, dass «gar nicht erkennbar ist, ob das überhaupt Deutsch ist».
Hersteller ignorieren Gesetz und Empfehlungen
Gemäss Schweizer Lebensmittelverordnung muss die Schriftgrösse auf Verpackungen «leicht lesbar und unverwischbar» sein. Was das heisst, ist unklar. Die Kantonschemiker haben deshalb «Interpretationshilfen zur Lebensmittelgesetzgebung» zuhanden der Hersteller herausgegeben: Zu verwenden sind mit Vorteil schnörkellose Schriften wie Arial und Helvetica. Die Schrift muss mindestens 7 Punkt gross sein und der Zeilenabstand darf die Lesbarkeit nicht beinträchtigen.
Eine Überprüfung des Labors Veritas in Zürich im Auftrag von saldo ergab: Die Schriften etwa bei Kukident und bei den Bachblüten-Pastillen sind viel zu klein: «Das ist maximal eine 5-Punkt-, wenn nicht sogar eine 4-Punkt-Schrift», sagt Markus Lüönd, Prüfleiter Chemie, Lebensmittel und Pharma.
Die EU hat das Problem erkannt. Ab 13. Dezember gelten neue Vorschriften für die Lebensmittelkennzeichnung. «Alle verpflichtenden Informationen» müssen dann «mindestens in 1,2 mm grosser Schrift gedruckt werden». «Das entspricht einer Schriftgrösse von 7 Punkt», sagt Lüönd. Also derselben Grösse, wie sie die Kantonschemiker vorschlagen.
Der Bund überlässt die Verantwortung den Kantonen
Und was macht der Bund? Das zuständige Bundesamt für Lebensmittel und Veterinärwesen schiebt die Verantwortung auf die Kantone ab. «Wir haben keine Kompetenz für die Marktkontrolle», sagt Mediensprecherin Eva van Beek. Diese liege bei den kantonalen Behörden. Nur: Solange die Vorschriften der Kantonschemiker nicht im Gesetz verankert sind, können diese nicht mehr tun, als die Hersteller auf die kleine Schrift hinzuweisen.
Gemäss van Beek soll die Minimalgrenze für Schriftgrössen im Rahmen der Totalrevision des Lebensmittelrechts eingeführt werden. Das heisst frühestens ab 2016.