Am Inselspital Bern erhalten Patienten das Medikament Novalgin, wenn sie «schwere Schmerzen oder hohes Fieber haben, aber nicht auf andere Schmerzmittel ansprechen». Das sagt Manuel Haschke, Chefarzt klinische Pharmakologie am Inselspital. Im Unispital Zürich verabreichen Ärzte Novalgin vor allem gegen Schmerzen nach einer Operation, sagt Jürg Schliessbach, Leiter Schmerztherapie.
Auch Hausärzte verschreiben das Mittel oft. Letztes Jahr waren es rund 1,9 Millionen Packungen für ambulant behandelte Patienten. Die Hersteller erzielten damit einen Umsatz von rund 14 Millionen Franken. Das zeigen Zahlen des Krankenkassenverbands Curafutura.
Bei ersten Symptomen sofort absetzen
Doch bei Novalgin gibt es ein Problem. Originalhersteller Sanofi und die Generikaproduzenten Mepha, Spirig, Sintetica und Streuli warnen in einer gemeinsamen «Sicherheitsinformation» in der «Ärztezeitung» davor, dass ihr Präparat «in Einzelfällen ein akutes Leberversagen» auslösen könne. Patienten sollten auf frühe Symptome nach der Einnahme achten. Dazu gehören Bauchweh, Übelkeit oder Erbrechen. Auch die Europäische Arzneimittelagentur wies vor kurzem darauf hin, dass Patienten Novalgin sofort nach ersten Symptomen absetzen müssten und es dann nie mehr nehmen sollten.
Novalgin fiel bereits früher negativ auf. Von 2011 bis 2020 gingen bei der Heilmittelbehörde Swissmedic 552 Meldungen zu Nebenwirkungen ein. Fast 90 Prozent galten als «schwerwiegend». Meist ging es darum, dass Patienten zu wenig Blutzellen bildeten. Das kann zu einer Schwächung des Immunsystems oder einer erhöhten Blutungsneigung führen. Swissmedic registrierte aber nur fünf Meldungen zu Leberschäden. In einem Fall versagte die Leber eines Patienten, was eine Transplantation nötig machte. Laut der Europäischen Arzneimittelagentur lässt sich die «exakte Häufigkeit» von Leberschäden im Zusammenhang mit Novalgin «nicht abschätzen».
Für Etzel Gysling, Hausarzt und Herausgeber des Fachmagazins «Infomed», ist das kein Wunder. Er kritisiert, dass Behörden und Hersteller die Wirksamkeit von Novalgin bislang noch nie nach den Kriterien der heutigen evidenzbasierten Medizin beurteilen liessen. Es sei nicht bekannt, ob das Medikament mehr nütze als schade. Die USA oder Grossbritannien hätten das Präparat schon seit Jahren nicht mehr zugelassen. Gysling empfiehlt mässig dosiertes Paracetamol als Alternative.
Auch Manuel Haschke vom Inselspital Bern hält Paracetamol «bei schwachen Schmerzen» für einen brauchbaren Ersatz. Bei «schweren Schmerzen» müsse man aber weiterhin auf Novalgin setzen. Denn andere Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Opioide würden «deutlich häufiger» unerwünschte Nebenwirkungen wie Übelkeit, Nierenschäden oder Magenblutungen auslösen als Novalgin.