Stuhl reiht sich an Stuhl. Etwa vierzig ältere Leute sitzen in einem Kirchgemeindesaal in der Stadt Zürich. Alle Blicke sind nach vorne gerichtet. Dort steht ein Mann, ganz in Schwarz, mit Rossschwanz, ein Mikrofon in der Hand. Er heisst Axel Daase, ist Physiotherapeut und wirbt beim Publikum für sein Angebot: «Sie alle sind verzweifelt vor Schmerzen, doch seien Sie entspannt.» 90 Prozent seiner Patienten seien nach der ersten Behandlung fast schmerzfrei.
Experten wie Pia Fankhauser vom Schweizer Physiotherapie-Verband Physioswiss sind kritisch: «Solche Erfolgsquoten sind so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto.» Auch Florian Brunner, Chefarzt für Physikalische Medizin und Rheumatologie an der Zürcher Uniklinik Balgrist in Zürich, winkt ab: «Ich bin sehr skeptisch gegenüber solchen Versprechen.»
Die Heilmethode von Daase klingt verlockend einfach. Man müsse die sogenannten Faszien behandeln und schon sei man praktisch schmerzfrei, egal ob bei Rückenweh, Migräne oder Osteoporose. Faszien gehören zum Bindegewebe und umhüllen Muskeln, Sehnen und Gelenke. Laut Daase verkürzen sie sich und verkleben, wenn der Mensch zu viel sitzt. Dagegen würden Knochenmassage und Bewegungstherapie helfen. Zuerst massiere er den Schmerz raus. Dann mache er mit dem Patienten Übungen, um die Faszien zu dehnen.
Balgrist-Chefarzt Brunner sagt: «Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass allein Faszien für Schmerzen verantwortlich sind.» Auch sei die Knochenmassage zu wenig erforscht. «Schmerzen haben viele Ursachen.» Bei der Behandlung chronischer Rückenschmerzen etwa muss ein Arzt laut Brunner nicht nur mögliche Ursachen wie abgenutzte Bandscheiben einbeziehen. Es spiele auch eine Rolle, wie oft sich der Patient bewege und wie es ihm psychisch gehe. «Oft braucht der Betroffene eine Kombination aus Medikamenten, Massage, Physiotherapie und Psychotherapie.»
Teure Therapien, die von der Krankenkasse nicht vergütet werden
Therapeut Daase fordert Freiwillige aus dem Publikum auf, sich zu melden, «am besten jemand mit sehr starken Schmerzen». Mehrere Frauen heben die Hand. Daase wählt eine Frau mit Rückenweh. Sie kann sich vor Schmerzen kaum beugen. Daase schickt sie mit einem «Schmerzcoach» aus seinem Team in einen anderen Raum. Dort soll er die Schmerzen wegmassieren.
Eine halbe Stunde später kommt die Frau zurück. Daase fragt: «Wie stark sind Ihre Schmerzen?» Die Frau sagt, sie fühle sich besser. Daase triumphiert: «Meine Methode wirkt.» Margrit Kessler von der Stiftung SPO Patientenschutz hält solche Patientendemonstrationen für «einen Witz». Und Arzt Florian Brunner meint: «Man kann eine Therapie nicht anhand einzelner Fallbeispiele beurteilen.»
Nach dem Vortrag verteilt Daase Anmeldetalons für seine Schmerztherapie. Eine Massagesitzung von 50 bis 60 Minuten kostet 200 Franken, ein dreimonatiges Bewegungstraining in der Gruppe 490 Franken. Diese Kosten muss der Patient oft selbst tragen, die Grundversicherung der Krankenkasse zahlt nur einen Teil. Und bei den Zusatzversicherungen zahlen nicht alle Kassen.
Daase wirbt mit einem Doktortitel. Doch er ist kein Arzt. Den «Dr. phil.» erwarb er an einer slowakischen Universität mit der Arbeit übers Gesundheitsmanagement der Schmerztherapie.
Mit seinen Versprechungen ist er kein Einzelfall. Auch Sybille Huser-Walker vom Schmerzfreiraum Zentralschweiz stellt schnelle Heilung bei Schmerzen in Aussicht. Die Physiotherapeutin bietet eine Behandlung «nach Liebscher und Bracht» an: «Die Schmerzen verschwinden ohne Medikamente oder Operationen auf vollkommen natürliche Weise und verblüffend schnell.» Gabriele Furhan aus Bern wirbt wortwörtlich gleich. Und der Zürcher Arzt Jörg Stuckensen schreibt auf seiner Homepage, mit seiner myofaszialen Drucktherapie seien «schwere Schmerzzustände ohne Medikamente oder Operationen in kurzer Zeit zu beheben».
Axel Daase schreibt saldo, die Faszien-Forschung werde erst seit einigen Jahren vorangetrieben. Neue Erkenntnisse zeigten, dass Faszien eine bedeutende Rolle bei Schmerzen spielten. Er und sein Team hätten in den letzten dreieinhalb Jahren 12 000 Behandlungen durchgeführt. Die Knochenmassage sei wissenschaftlich erforscht und in Kombination mit den von ihm entwickelten Dehnübungen hochwirksam. Wie jeder promovierte Akademiker habe er das Recht, seinen erarbeiteten Doktortitel zu tragen.
«Interne Erhebungen» sollen hohe Erfolgsquote belegen
Sybille Huser-Walker sagt, Schmerzauslöser seien meist Fehlprogrammierungen der Muskeln. Die Therapie «nach Liebscher und Bracht» begleite Patienten innert Kürze in die Schmerzfreiheit. Gabriele Furhan verweist auf interne Erhebungen von Roland Liebscher und Petra Bracht, den Erfindern der Behandlung, wonach die Therapie bei über 90 Prozent der Patienten den Schmerz um 70 bis 100 Prozent reduziere. Denselben Erfolg erreiche sie in ihrer Praxis.
Jörg Stuckensen sagt, es hänge von der Kompetenz des Therapeuten ab, wie gut die Therapie wirke. Chronische Schmerzen könne man nachhaltig beseitigen, wenn man ihre Ursachen kenne.
Tipps: Das können Sie bei Schmerzen tun
Stress reduzieren
- Achten Sie am Arbeitsplatz auf Pausen.
- Atmen Sie zwischendurch tief durch, kreisen Sie mit den Schultern und schütteln Sie Arme und Beine.
- Machen Sie über Mittag einen Spaziergang.
- Entspannen Sie sich in der Freizeit. Helfen können Entspannungstechniken wie Meditation oder autogenes Training.
- Reden Sie mit Familie und Freunden über Stress, Sorgen und Schmerzen.
Bei Schmerzen, die plötzlich auftauchen
- Zögern Sie nicht, Medikamente zu nehmen.
- Nehmen Sie Schmerzmittel nicht während mehr als drei Tagen.
Bei anhaltenden Schmerzen
- Gehen Sie zum Hausarzt, die Schmerzen können sich im Hirn festschreiben.
Bei Rheuma
- Seien Sie zurückhaltend mit Medikamenten, die Entzündungen hemmen.
- Bei vielen Patienten hilft ein einfaches Schmerzmittel, zum Beispiel Paracetamol.
- Bei Gelenkrheuma ist das sanfte Mittel Fischöl sehr wirksam.
Bei Arthrose
- Bleiben Sie in Bewegung: Gehen Sie viel zu Fuss oder fahren Sie Velo.
- Oft helfen natürliche Mittel, zum Beispiel Capsaicin (aus Chilischoten).
Bei Migräne
- Achten Sie auf geregelte Essenszeiten, gehen Sie stets zur selben Zeit ins Bett.
- Führen Sie ein Kopfschmerztagebuch, um herauszufinden, was die Migräne auslöst.
- Nahrungsergänzungsmittel wie Magnesium, Vitamin B2, Coenzym Q10 und Pestwurzextrakt helfen vielen Patienten und haben kaum Nebenwirkungen.
Bei chronischen Rückenschmerzen
- Bleiben Sie aktiv, statt im Bett zu liegen.
- Achten Sie auf genug Bewegung, nehmen Sie die Treppe, gehen Sie zu Fuss.
- Dehnen Sie die Rückenmuskeln.
- Legen Sie eine Wärmeflasche auf den Rücken.
- Nehmen Sie ein Wärmepflaster.
- Machen Sie einen warmen Wickel.