Der Kläger in der Verhandlung am Basler Arbeitsgericht ist Inhaber eines orthopädischen Schuhgeschäfts. Der Beklagte war bei ihm fast fünf Jahre lang als Orthopädie-Schuhmacher angestellt. Dann kündigte er und begann in einem anderen Orthopädie-Laden zu arbeiten. Nun verlangt der Besitzer des Schuhgeschäfts vom ehemaligen Angestellten rund 30 000 Franken Schadenersatz. Sein Vorwurf: Der Schuhmacher habe die Kunden während der Kündigungsfrist über seinen Stellenwechsel informiert und sie aufgefordert, mit ihm das Schuhgeschäft zu wechseln. So sei ihm ein immenser finanzieller Schaden entstanden. Beide Parteien werden vor Gericht von einem Anwalt vertreten.
Der Vorsitzende des Arbeitsgerichts will zuerst Zeugen anhören, statt wie üblich mit den Plädoyers der Parteien zu beginnen. «Wir wollen uns zuerst ein Bild davon machen, ob an den Vorwürfen des Klägers etwas dran ist», sagt er.
Zwei Stunden lang Zeugen einvernommen
Der Inhaber des Schuhgeschäfts hatte beantragt, rund 60 Zeugen zu befragen. Doch das Gericht beschränkt sich aus Zeitgründen auf sieben ehemalige und aktuelle Kunden des Klägers.
Der Richter will von ihnen wissen, ob der beklagte Schuhmacher sie auf seinen Stellenwechsel hingewiesen und sie aufgefordert habe, ihm ins neue Geschäft zu folgen. Eine Zeugin sagt aus, sie habe in einem Zeitungsinserat des neuen Arbeitgebers erfahren, dass der Mann nun dort arbeitet. Eine andere habe es von ihrem Arzt gehört. Beide wechselten daraufhin das Geschäft.
Die anderen fünf Zeugen berichten, der Schuhmacher habe ihnen von seiner Kündigung erzählt. Zwei davon erfuhren von ihm den neuen Arbeitsort. Ein älterer Mann meint: «Ich blieb aber bei meinem alten Schuhgeschäft, weil es für mich mit dem Auto einfacher erreichbar ist.» Ein anderer Zeuge stammt aus Italien. Er habe vom Beklagten erfahren, dass er das Geschäft verlasse – und wohin. «Er sagte mir, dass ich meine Schuhe machen lassen könne, wo ich will», erinnert sich der ältere Mann. «Und dass er seine Leisten mitnehmen könne.» Er sei aber ebenfalls beim Kläger geblieben.
Die Befragungen dauern zwei Stunden. Der Vorsitzende bittet die Anwälte, sich zu den Aussagen der Zeugen zu äussern. Der Anwalt des Klägers verlangt, auch noch die restlichen Zeugen anzuhören. Der Richter meint, das würde wohl nichts bringen. Er weist den Kläger darauf hin, dass er noch den finanziellen Schaden belegen müsse, der durch das Verhalten des ehemaligen Angestellten entstanden sei.
Beide Anwälte bejahen eine einvernehmliche Lösung
Am Ende will der Vorsitzende von den Parteien wissen, ob sie zu einer einvernehmlichen Lösung bereit wären. Beide Anwälte bejahen. Der Anwalt des Geschäftsinhabers schlägt vor, dass der Schuhmacher mit seinem jetzigen Arbeitgeber bespricht, ob dieser sich finanziell beteiligen würde.
Schliesslich einigen sich die Parteien darauf, dass der Beklagte dem Kläger 15 000 Franken bezahlt, für die letztlich der neue Arbeitgeber aufkommt. Gerichtskosten fallen keine an. Beide Parteien übernehmen ihre Anwaltskosten selbst.
Kunden abwerben ist unzulässig
Angestellte haben ihrem Arbeitgeber gegenüber laut Gesetz eine Treuepflicht. Das bedeutet: Sie dürfen ihren Betrieb nicht schädigen. Dazu gehört, dass Kunden nicht dazu veranlasst werden dürfen, zur Konkurrenz zu wechseln. Die Treuepflicht gilt während des Arbeitsverhältnisses – also auch noch bei einer Freistellung. Am letzten Tag der Kündigungsfrist läuft sie aus. Es sei denn, es wurde vertraglich etwas anderes vereinbart.