Die Stimmung in der S33 von Winterthur nach Schaffhausen ist schlecht. Die Passagiere im Regionalzug der SBB-Tochter Thurbo sind unzufrieden. Das Sitzen sei unbequem, und es gebe kaum Platz für Taschen und Koffer, beschweren sie sich gegenüber dem saldo-Reporter. Eine Pendlerin erzählt, dass Passagiere regelmässig erfolglos versuchen, ihr Gepäck zu verstauen. Schuld sind die «Gelenktriebwagen» (GTW) des Herstellers Stadler Rail. Sie sind seit über 20 Jahren im Einsatz – aber unbequem und viel zu eng.
In der 2. Klasse sitzen fünf Personen nebeneinander, aufgeteilt in eine Dreier- und eine Zweierreihe. In allen anderen Zügen sind es nur vier Personen. Jeder Passagier in einem GTW hat 44 Zentimeter Platz. Genauso viel misst der Abstand zwischen zwei gegenüberliegenden Sitzreihen. Zum Vergleich: Ein aufgeschlagenes saldo-Heft misst 46 Zentimeter. Dazu kommt: Im knapp 40 Meter langen GTW 2/6 gibt es insgesamt vier Treppen. Für gehbehinderte Personen ist das eine Zumutung.
«Eine bezahlbare, aber nicht maximale Qualität»
Thurbo besitzt 105 GTWs und ist damit der grösste Abnehmer dieses Modells. Rund 1,2 Millionen Leute leben im Einzugsgebiet der SBB-Tochter. Viele davon sind mit Regionalzügen unterwegs. 67 weitere GTWs sind für die SBB und die BLS im Einsatz. Thurbo sagt, sie habe sich für «eine bezahlbare, aber nicht maximale Qualität entschieden». Die Flirt-Triebwagen des gleichen Herstellers seien teurer, sowohl in der Beschaffung wie im Betrieb. Das heisst: Die SBB-Tochter spart auf Kosten der Passagiere.
Laut Thurbo kostet ein 53 Meter langer GTW 2/8 6,5 Millionen Franken. Ein Flirt je nach Ausführung rund 9 Millionen Franken, also 40 Prozent mehr. Die Unterhaltskosten seien beim Flirt 30 bis 40 Prozent höher.
Thurbo findet, die billigen Züge seien vertretbar. Die durchschnittliche Reisezeit betrage nur 20 Minuten. Pech hat, wer mit dem GTW von Schaffhausen nach St. Gallen fährt. Die S8 benötigt für diese Strecke 1 Stunde und 53 Minuten.
Nicht bequemer ist der Doppelstock-Zug «Stadler Kiss», ebenfalls von Stadler Rail. Sowohl in der ersten als auch in der zweiten Klasse müssen sich die Reisenden auf 45 Zentimeter breite Sitze zwängen. Der Abstand zwischen zwei gegenüberliegenden Sitzen der 2. Klasse misst knappe 39 Zentimeter.
Die Doppelstöcker wurden ursprünglich für den Regionalverkehr des Zürcher Verkehrsverbundes gebaut. Mittlerweile setzen die SBB die Wagen auch auf Langstrecken ein, zum Beispiel zwischen St. Gallen und Chur oder Zürich und Konstanz. Reisedauer pro Strecke: ca. 80 Minuten.
Für zwei Passagiere, die sich gegenübersitzen, ist eine lange Reise eine Qual. Denn sie müssen ihre Knie im spitzen Winkel positionieren, wenn sie sich nicht ständig berühren wollen. Das ist für die Gesundheit nicht förderlich: «Ein längeres Sitzen mit rechtwinklig gebeugten Knien ist nicht ideal», kritisiert der Zürcher Orthopäde Daniel Wüst.
Besser haben es Passagiere, die mit dem «Flirt» unterwegs sind. Dieser Zug kommt unter anderem bei der Südostbahn und den Freiburgischen Verkehrsbetrieben zum Einsatz.
In der Schweiz gibt es insgesamt 194 Flirts. Die Passagiere müssen über keine einzige Stufe gehen, und es gibt überall Gepäckablagen. Der Abstand zwischen zwei gegenüberliegenden Sitzen beträgt 58 Zentimeter. Das sind 14 Zentimeter mehr als beim GTW. Ausserdem sind die Sitze drei Zentimeter breiter.
Neue Bombardier-Züge sind enger gestuhlt als der Flirt
Im Fernverkehr setzen die SBB seit einigen Wochen vereinzelt neue Doppelstockzüge von Bombardier ein. Bestellt sind 62 Züge. saldo war auf einer Fahrt von Zürich nach Bern dabei. Die Sitze sind mit 45 Zentimetern (plus 5 Zentimeter Armlehne) nur 1 Zentimeter breiter als beim GTW. Der Sitzabstand beträgt 55 Zentimeter. Das sind 3 Zentimeter weniger als beim Flirt. Und der Platz für Gepäck ist knapp. Ein mittlerer Rollkoffer mit einer Breite von 30 Zentimetern passt weder unter die Sitze noch in die obere Gepäckablage.
Immerhin: Neue GTWs werden in der Schweiz kaum zum Einsatz kommen. Stadler Rail teilt auf Anfrage mit, dass «keine inländischen Bestellungen» vorliegen.