Die junge Frau ist zu bedauern. Sie hievt ihr Velo am Bahnhof Neuenburg ins Veloabteil des ICN und stellt fest, dass alle drei Plätze schon besetzt sind. Der Lokomotivführer sagt: «Steigen Sie aus. Suchen Sie einen anderen Platz.» Die junge Frau protestiert: «Aber ich habe doch hier reserviert!» Doch es nützt nichts. Sie muss ein anderes Veloabteil suchen. In der Zwischenzeit schliessen die Türen. Der Zug fährt davon. Die Frau bleibt auf dem Perron zurück.
Das Beispiel zeigt: Das neue Reservationssystem löst die Probleme beim Velo-Selbstverlad nicht. Velofahrer müssen seit März in Intercity-Zügen von Freitag bis Sonntag einen Platz reservieren. Das kostet zwei Franken pro Fahrstrecke – zusätzlich zum Velobillett (saldo 5/2021).
Reservation nützte in mehr als der Hälfte der Fälle nichts
Die saldo-Stichprobe an drei Wochenenden im Mai zeigt, mit welchen Problemen Velofahrer kämpfen müssen. In 17 von 32 Fällen war der reservierte Platz schon besetzt. In 11 Fällen konnten die Fahrer auf einen freien Platz ausweichen. In 6 Fällen mussten sie das Velo in den Gang stellen – und konnten von Glück reden, dass sie nicht aus dem Zug geworfen wurden. Denn eigentlich müssen die Fluchtwege frei bleiben.
Die SBB sind trotzdem der Meinung, dass «die Velotransporte in den vergangenen Wochen gut funktioniert» hätten. Im Frühjahr hatte das Bahnunternehmen angekündigt, dass die Zahl der Veloplätze erhöht werde – «auf den wichtigen Linien des Freizeitverkehrs zu den nachfragestarken Zeiten, wenn immer möglich auf bis das Dreifache der bisherigen Kapazitäten». Dazu wurden Gepäckabteile geöffnet.
In seiner Stichprobe stiess saldo dennoch auf chaotische Zustände beim Veloverlad:
- Lautsprecherdurchsage in Bern: «Der Zug wird verkürzt geführt.» Folge: Nur die Wagen 11 bis 18 fahren ein. Der Wagen 6 mit dem reservierten Platz fehlt.
- Bahnhof Freiburg: Statt eines Doppelstöckers fährt ein Ersatzzug ein. Die Wagen sind nicht nummeriert. Wohin mit dem Velo?
- Bahnhof Zürich: Auch nach Chur fährt ein Ersatzzug. Die Velos landen auf einem Haufen und versperren den Gang.
- Von Thun ins Wallis: Im IC 2000 stehen drei verpackte Velos im Gang. Die reservierten Plätze sind kaum zu erreichen.
- Von Zürich nach Frauenfeld: Eine Frau möchte ihr Velo an den reservierten Platz bugsieren. Doch da steht ein Kinderwagen. Sie ist drauf und dran, diesen aufs Perron zu stellen. Mitreisende hindern sie daran.
Die Kondukteure scheuen Diskussionen. «Sobald im Veloabteil ein bisschen Betrieb ist, sieht man nichts mehr von ihnen», sagt ein Passagier. Und wenn doch ein Kondukteur da ist, dann klagt er: «Das Reservationssystem ist nicht ausgereift.»
Ein grosses Problem beim Velo-Selbstverlad sind die Züge:
- IC 2000: Im Multifunktionsabteil stellt jeder seine Sachen hin – Rucksäcke, Rollkoffer, Kinderwagen. Die Velofahrer sind die einzigen, die zahlen: fürs Velo und für die Reservation. Aber Platz haben sie nicht.
- Bombardier-Doppelstöcker: Ve-los mit breitem Lenker haben am Fenster keinen Platz. Wer sein Velo hinten platziert hat, muss zuerst das Fahrrad auf der Gangseite entfernen, bevor er das eigene Velo holen kann.
- ICN: Wer sein Velo zuhinterst platziert hat, kann es kaum mehr hervorholen. Ausserdem versperren Velos im Gang dem Lokführer den Weg.
- Einheitswagen IV: Wie beim Neigezug müssen die Velos aufgehängt werden. Bei E-Bikes, die gegen 30 Kilo wiegen, ist das fast nicht möglich.
Bis 31. Oktober täglich reservationspflichtig sind die Veloplätze in den ICs durch den Gotthard-Basistunnel und am Jura-Südfuss. Nur von Freitag bis Sonntag reservationspflichtig sind die restlichen ICs. Ganzjährig und täglich reservationspflichtig sind ECs, ICEs und Railjets. Das ist ziemlich kompliziert. Aber es wird noch schlimmer: Reservationen sind zwar via App möglich. Aber nur für ICs. Wer in einem internationalen Zug reisen will, muss 30 Minuten vor der Abfahrt am Schalter reservieren. Oder fünf Werktage im Voraus telefonisch.
Veloplätze sind zum Teil schon Tage im Voraus ausgebucht
Hinzu kommt: In gewissen Zügen lassen sich höchstens zwei Plätze aufs Mal reservieren. Wer mehr Plätze buchen will, muss das in mehreren Schritten tun. Im Voraus ist aber nicht ersichtlich, wie viele Plätze frei sind. Auch spontane Reisen sind in diesem Sommer kaum möglich. Denn die Veloplätze sind zum Teil schon Tage im Voraus ausgebucht.
Bahnreise mit Velo – die Tipps
- Veloplatz möglichst frühzeitig reservieren – via App, am Schalter oder unter Tel. 0848 44 66 88.
- Die Reservation zeigt, in welchem Wagen sich der Platz befindet.
- Drei Stunden vor der Abfahrt ist im Internetfahrplan und in der App ersichtlich, in welchem Sektor der Wagen hält.
- Beim Einladen: Falls die Lenker einander in die Quere kommen, jedes zweite Velo mit dem Hinterrad an den Velohaken hängen.