Die SBB führen über jeden Swisspass-Besitzer eine Akte mit Kundendaten. Davon sind alle rund 6,1 Millionen Besitzer von General- und Halbtaxabos betroffen. Die Daten, welche die SBB mit Hilfe des Swisspass sammeln, umfassen weit mehr als Alter, Adresse, E-Mail- und Telefonnummer der Kunden, sondern beispielsweise auch die familiären Verhältnisse.
Sybille Wolgensinger (Name geändert) aus Zürich ist eine treue SBB-Kundin. In den Akten der SBB lässt sich bis zurück ins Jahr 1997 nachlesen, welche Abos sie jeweils kaufte. Im Jahr 2003 etwa kaufte sie erstmals ein «Generalabo Duo Partner». Daraus geht hervor: Wolgensinger lebt in einer Beziehung. Ab 2016 kommt ein «Generalabo Duo Partner Junior» dazu. Daraus lässt sich schliessen, dass Wolgensinger Mutter eines über sechs Jahre alten Kindes ist.
SBB speichern, wer wohin reist – und was er am Zielort tut
Der Datenauszug von Felix Karst (Name geändert) aus Zürich zeigt, dass die SBB-Daten auch viel über das Freizeitverhalten preisgeben. Eine kleine Auswahl aus seiner SBB-Fiche belegt, wann er wo zum Skifahren in den Ferien in Braunwald war, wann er Ausflüge auf den Atzmännig ZH, ins Verkehrshaus Luzern oder in den Säntis-Park in Abtwil SG unternahm – oder welches Auto er für die Ferien von wann bis wann mietete.
Für gelegentliche Fahrten nutzt er Mobility, seit 2018 hat er ein Mobility-Jahresabo mit dem Swisspass verbunden. Das Beispiel zeigt: Werden Billettkäufe mit Zusatzleistungen angereichert wie Skikarten, Automieten und Museumseintritten, weiss die SBB mehr als nur, wer wann wohin reist.
Die saldo vorliegenden Dossiers von Swisspass-Kunden umfassen bis zu 100 Seiten für eine einzige Person. Dies auch darum, weil die SBB mit über 100 andern Unternehmen zusammenarbeiten. Damit die SBB-Kunden deren Angebote benutzen, werden sie mit Rabatten geködert. Swisspass-Besitzer erhalten etwa einen E-Mail-Newsletter, der Vergünstigungen bei Hotels oder Autovermietern wie Europcar anpreist. Wer diese in Anspruch nehmen will, muss sich mit dem Swisspass einloggen. Bucht jemand zum Beispiel ein Auto, erfahren das auch die SBB.
Die Swisspass-Karte erhält zudem laufend mehr Funktionen, die den Kunden meist mit einem Komfortgewinn verkauft werden. Sie lässt sich etwa als Türschlüssel in Hotels oder als Museumsticket benutzen. Seit Ende 2022 lässt sich die Karte auch als Zahlungsmittel wie eine Kreditkarte für den Billettkauf verwenden.
Werber sollen Bahnkunden «zielgenau erreichen»
Die Kundendaten werden auch für Werbezwecke verwendet. Die Alliance Swisspass ist die Herausgeberin des Swisspass. In der Organisation haben sich 250 Unternehmen des öffentlichen Verkehrs zusammengeschlossen, darunter auch die SBB. Die Alliance Swisspass teilt alle Kunden in eines von neun «Kundenwertsegmenten» ein, die sich gezielt bewerben lassen: die Ungebundenen, Sparsamen, Pragmatischen, Profis, Beständigen, die Anspruchsvollen, Geniesser, Automobilisten sowie die Entdecker.
Die SBB versprechen den Werbekunden auf ihrer Internetseite: «Sie erreichen Ihre Zielgruppen zielgenau.» Werber können auf der SBB-Internetseite oder in der Handyapp Werbung buchen und die Adressaten aussuchen – beispielweise nach Aufenthaltsort, Wohnort, Alter oder Geschlecht.
SBB schränken anonymen Ticketkauf zunehmend ein
Volker Birk, Präsident des Stiftungsrats der Stiftung Pretty Easy Privacy, kritisiert die Datensammelei mit dem Swisspass. Er fordert, dass die SBB sich auf ihr Kerngeschäft beschränken: «Es braucht eine Möglichkeit, anonym zu reisen.»
Als Vorbild nennt er London, wo U-Bahn oder Busse mit der «Oyster Card» anonym genutzt werden können. Die Karte enthält keine persönlichen Daten. Man lädt einfach an einem Automaten oder einem Schalter ein Guthaben auf die Karte und braucht dieses dann auf. Die Karte lässt sich auch weitergeben.
In der Schweiz dagegen schränken die SBB die Möglichkeit laufend ein, Billette anonym am Bahnschalter oder am Automaten zu kaufen. Tickets nach Deutschland oder Frankreich gibt es heute selbst am Schalter nur noch in personalisierter Form. Dies im Gegensatz zur Deutschen Bahn: Bei ihr kann man noch immer nicht personalisierte Tickets kaufen.
Kunden-Datenbank heimlich wieder aktiviert
Wer bei den SBB seine persönlichen Daten anfordert, erhält unter Umständen neben den Kundendaten auch ein Dokument namens «Kontrolldaten». Daraus ist ersichtlich, wann und auf welchen Strecken man im Zug kontrolliert und welches Billett vorgezeigt wurde. Dies, obwohl der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Jean-Philippe Walter im Jahr 2016 bei den SBB erfolgreich dagegen interveniert hatte. Denn durch das Abspeichern der Kontrolldaten konnten die SBB umfangreiche Bewegungsprofile der Kunden erstellen.
«Unverhältnismässig» und nicht nötig
Laut Walter war das Speichern der Kontrolldaten während 90 Tagen «unverhältnismässig» und schlicht nicht nötig. Er empfahl deshalb, diese Daten unverzüglich zu löschen und die Kontrolldatenbank nicht mehr weiter zu betreiben. Die SBB sicherten das zu.
Doch die SBB haben dieses Versprechen gebrochen, wie saldo aufgrund der angeforderten Kundendaten belegen kann. Sie führten die Kontrolldatenbank im Jahr 2018 heimlich wieder ein. «Wir speichern die Kontrolldaten während maximal 90 Tagen», bestätigen die SBB heute gegenüber saldo. Man deklariere dies in der Erklärung zum Datenschutz.
Die Kontrolldaten speichere das Unternehmen jedoch nur, wenn Kunden den Swisspass auch auf der SBB Mobile App auf dem Smartphone hinterlegen. Die Begründung der SBB: Sie müssten überprüfen können, dass der Swisspass auf der Karte und der mobilen Version nicht gleichzeitig von verschiedenen Personen verwendet werde. Nur: Ob die richtige Person ein Abo benutzt, kann der Kontrolleur mit einem Blick auf das Foto auf dem Abo feststellen.
Datenschützer Adrian Lobsiger sieht kein Problem darin, dass die Kontrolldaten gespeichert werden. Sein Vorgänger Jean-Philipp Walter hält das Abspeichern nach wie vor für heikel. Der heutige Datenschutzbeauftragte des Europarats sagt: «Es scheint mir unnötig, Daten zu speichern, nur um festzustellen, ob die Swisspass-Karte und die mobile App gleichzeitig genutzt werden.»