So bewerben die SBB den im Juni 2016 eröffneten 57 Kilometer langen Tunnel: «Der Gotthard-Basistunnel bringt Menschen im Norden und Süden schneller zusammen. Der Tunnel verkörpert Schweizer Werte wie Innovation, Präzision und Zuverlässigkeit.»
Doch für die Passagiere ist diese Bahnstrecke nicht selten eine Zumutung. Die Züge sind überfüllt, weil die Bahnen zu wenig und zu pannenanfälliges Rollmaterial einsetzen. Die SBB bestreiten das. «Wir haben genügend Rollmaterial.»
Fakt ist: Passagiere ohne Reservationen werden teilweise aufgefordert, den Zug zu verlassen. Laut «Blick» war die Stimmung der Passagiere kürzlich «aggressiv», die Zugführer seien mit ihren Aufforderungen «nicht zimperlich» gewesen. Die SBB hätten sogar schon Züge ausfallen lassen oder über die alte Gotthardstrecke umleiten müssen.
SBB kann bei Überbelegung Weiterfahrt verweigern
Die SBB sagen dazu, täglich würden rund 50 Züge in beiden Richtungen durch den Gotthard-Basistunnel fahren. Nur jeder 850ste Zug sei «überbelegt». Als überfüllt gilt bei den SBB ein Zug auf der Gotthard-Basislinie, wenn die Auslastung über 140 Prozent beträgt – also mehr als 40 Prozent der Passagiere stehen müssen. In solchen Fällen fordere das Zugpersonal einen Teil der Passagiere auf, den Zug zu verlassen – aus Sicherheitsgründen. SBB-Sprecher Christian Ginsig: «Wir dürfen die Passagiere rechtlich nur darum bitten, den Zug zu verlassen. Wir können und wollen niemanden dazu zwingen.»
Das Bundesamt für Verkehr bestätigt dies: «Passagiere, die vom Zugführer gebeten werden, den Zug zu verlassen, müssen das nicht befolgen.» Wenn aber zu wenige Reisende aussteigen, könnten die SBB die Weiterfahrt verweigern. Dann nämlich, wenn eine sichere Evakuierung, zum Beispiel bei einem Brand, nicht mehr gewährleistet sei.
Die Betroffenen ärgern sich. Karin Blättler ist Präsidentin der Kundenorganisation Pro Bahn. Auch sie wurde schon auf einer Fahrt ins Tessin «resolut» aufgefordert, in Arth-Goldau SZ den überfüllten Zug zu verlassen.
Blättler sagt: «Wenn ich ein Billett kaufe, erwarte ich, dass ich transportiert werde – möglichst mit einem Sitzplatz.» Sie befürchtet, dass die SBB das Gotthardchaos dazu benutzen könnten, dass «eine Reservierung im Inlandverkehr obligatorisch wird». Das wäre dann ein «indirekter Preisaufschlag» von 10 Franken pro Platz hin und zurück. Die SBB sagen aber, es werde für Fernstrecken im Inlandverkehr keine Reservationspflicht geben.
Gedenkt das Bundesamt für Verkehr als Aufsichtsbehörde etwas gegen die teilweise chaotischen Verhältnisse auf der Gotthardlinie zu tun? Es spielt den Ball den SBB zurück: «Der Fernverkehr auf der Gotthardachse wird von den SBB eigenwirtschaftlich betrieben.» Der Bund habe deshalb «nur sehr beschränkt Einfluss».